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Das unsichtbare Buch

Das unsichtbare Buch

Titel: Das unsichtbare Buch
Autoren: Santiago García-Clairac
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    I ch heiße César. Heute fängt für mich das neue Schuljahr in einer neuen Schule an. Deswegen bin ich stinksauer.
    Jedes Jahr ist es das Gleiche. Ich muss die Schule wechseln, die Freunde, die Lehrer, das Viertel und, was noch schlimmer ist, auch die Wohnung. Und schuld daran ist mein Vater.
    Nicht dass mein Vater von der Polizei gesucht würde wie ein Verbrecher, der ständig in eine andere Stadt ziehen muss. Nein, das ist es nicht … Mein Vater ist Schriftsteller.
    Er sagt, er sei ein unruhiger Geist und könne nicht lange am selben Ort bleiben. Deshalb bleiben wir gerade nur so lange in einer Stadt, bis er einen Roman zu Ende geschrieben hat, und dann … Adiós!
    »Meine Fantasie hängt fest«, erklärte er eines Tages meinem Bruder Javier,Mama und mir, als wir in einem Flugzeug saßen. »Es ist mir unmöglich, zwei Bücher am selben Ort zu schreiben. Ich muss neue Gesichter sehen, eine andere Umgebung …«
    Er schreibt Bücher für Kinder, aber bisher habe ich es noch nicht geschafft, auch nur eins davon zu Ende zu lesen. Ein paar Mal hab ich’s ja versucht, aber ich kriege dann so schlechte Laune, dass ich einfach nicht weiterlesen kann.
    Ich bin so stinkig auf die Bücher meines Vaters, weil sie der Grund für unsere ständige Umzieherei sind. Und genau deswegen, wegen dieser Bücher, muss ich heute wieder in eine neue Schule gehen.
    Wenigstens hatte ich diesmal Glück, die Schule liegt ganz in der Nähe unserer Wohnung. Besser gesagt, die neue Schule liegt in der Nähe unserer neuen Wohnung. Wir sind nämlich erst vor knapp einem Monat in diese Stadt gezogen. Ich habe noch keine neuen Freunde gefunden. Ich kenne nicht mal unsere neuen Nachbarn.
    Die neue Schule ist sehr groß. Genauso wie das Klassenzimmer. Sieht aus wie einSaal in einem dieser Paläste, die man manchmal im Fernsehen sieht.
    Ich war früh da und bin als Erster hineingegangen. Aus Erfahrung weiß ich, dass man sich dann aussuchen kann, wo man sitzen will. Ich habe mich in die letzte Reihe gesetzt, direkt ans Fenster.
    Ich habe inzwischen gelernt, dass die Lehrer normalerweise nicht auf diejenigen achten, die ganz hinten sitzen. Und ein Platz am Fenster hat den Vorteil, dass man seinen Gedanken nachhängen kann, während man in den Himmel blickt. Dann geht die Zeit schneller rum. So was lernt man, wenn man ständig die Schule wechseln muss und oft allein ist.
    Nach und nach füllt sich die Klasse. Fast alle Schüler kennen und begrüßen sich, mich sehen sie seltsam an. Aber das kenne ich schon, es ist immer das Gleiche.
    Ich glaube, der Lehrer und ich, wir werden keine Freunde. Neulich hat meine Mutter mich ihm vorgestellt. Er ist einer von denen, die wollen, dass man zu ihnen aufschaut und sie respektvoll behandelt. Als wären sie wichtiger als der Rest der Welt!
    »Hallo!«
    »Was?«, frage ich etwas erschrocken.
    »Wie heißt du?«
    »Wer? Ich? … César«, antworte ich.
    »Ich heiße Lucía«, sagt das Mädchen, das sich soeben neben mich gesetzt hat.
    Erst jetzt merke ich, dass es ein Doppeltisch ist und sich früher oder später ein anderer neben mich setzen musste. Aber dass ich ein so hässliches Mädchen abkriegen würde, damit habe ich nicht gerechnet.
    Ich sehe sie von der Seite an. Ihr Gesicht macht mir direkt Angst. Das Schlimmste daran sind nicht die dunkelbraunen Sommersprossen, die fast ihr ganzes Gesicht bedecken; nein, das Schlimmste ist die riesengroße, runde Brille. Sieht aus wie eine Maske.
    Das kann ja heiter werden!
    »Du bist neu hier, stimmt’s?«
    »Ja«, antworte ich und starre auf mein Heft. »Ich bin neu hier.«
    »Zugezogen?«
    »Ja, vor Kurzem.«
    Sie ist nicht nur hässlich, sie nervt auch.
    »Ich bin schon seit der ersten Klassehier auf dieser Schule«, erklärt sie mir, »ein alter Hase sozusagen. Wenn du also Fragen hast, frag mich nur.«
    Auch noch blöd. War ja zu befürchten.
    »Ist schon okay …«, murmele ich, damit sie endlich die Klappe hält. »Wenn ich was wissen will, frag ich dich schon.«
    »Du, hör mal, red nicht mit mir, als wär ich blöd, ja?«, sagt sie plötzlich, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Ich seh zwar vielleicht so aus, aber deshalb bin ich’s noch lange nicht.«
    »Ich …«
    »Was, du?«, fällt sie mir ins Wort. »Du behandelst mich wie eine blöde Ziege, aber da hast du dich geschnitten, merk dir das.«
    »Ich hab doch gar nichts gesagt!«, protestiere ich.
    »Aber gedacht, und das kommt auf dasselbe raus«, sagt sie.
    »Und woher willst du wissen, was ich
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