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Zeichen im Schnee

Zeichen im Schnee

Titel: Zeichen im Schnee
Autoren: Melanie McGrath
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einzige Bürgermeister in ganz Alaska mit Überkämmfrisur, schritt mit ausgestreckter Hand auf ihn zu, seine mausgraue Frau hinter sich herziehend, begierig, mit auf die Fotos zu kommen. Chuck interessierte der Mann nicht – anders als er selbst, der bei den kommenden Wahlen als Kandidat für den Gouverneursposten ins Rennen ging, strebte Bürgermeister Dillard nichts an – aber heute kam es darauf an, sich leutselig zu geben.
    «Es freut uns sehr, Sie beide hier zu haben», sagte Dillard. «Ich dachte, nach der langen Zeit in der Großstadt haben Sie womöglich ganz vergessen, dass Ihre Wurzeln hier in Wasilla sind.» Dies wurde in jovialem Ton geäußert, von Bürgermeister zu Bürgermeister, entbehrte aber nicht einer gewissen Spitze. Auf der Fahrt hierher (Chuck hatte den Bürgermeister-Hubschrauber nehmen wollen, doch Marsha hatte es ihm mit der Begründung ausgeredet, das wirke zu protzig, womit sie, wie so oft, richtig lag) hatte er beschlossen, sich in diesem Tagesabschnitt ganz und gar loyal zu geben. Jetzt war er noch keine fünf Minuten hier, und schon stellte Dillard seine Heimatverbundenheit in Frage. Das kotzte ihn an.
    Chuck schüttelte ihm die Hand. «Die Heimat vergesse ich nie, J. G.», sagte er. Das entsprach insofern der Wahrheit, als Chuck Jersey City in New Jersey, seine eigentliche Heimat, nicht vergessen hatte. Mit vier Jahren hatte er sie verlassen, und bis heute empfand er eine fast schmerzliche Sehnsucht nach ihr. Gegen Wasilla aber hegte er eine leidenschaftliche Abneigung. Die Leute schwärmten von der spektakulären Lage der Stadt, die im Süden von grünen Tälern, im Osten vom Chugach-Gebirge und im Norden von den Talkeetnabergen begrenzt wurde. Sie faselten von dem klaren Wasser der Stadt, von den christlichen Werten und dem Gemeinschaftsgeist. Leute wie J. G. Dillard. Alles, woran Chuck sich im Zusammenhang mit Wasilla erinnerte, waren die grässlichen Winter, die er in seinem winzigen Zimmer in dem Häuschen seiner Familie auf der Willow-Seite der Stadt verbracht hatte, keine zehn Autominuten von hier entfernt. Dort hatte er seine Hippy-Aussteiger-Eltern belauscht, wenn sie ihre Enttäuschungen aneinander ausließen, dort hatte er sich danach gesehnt, woanders zu sein, egal wo, nur nicht in der Hinterwäldler-Hauptstadt Amerikas.
    Von den Kameras führte Dillard sie zu einem Ü-Wagen, der unweit der Startlinie des Rennens parkte. Schon hatten sich auf beiden Seiten Menschentrauben gebildet, die stampfend die Kälte vertrieben und sich aufgeregt erzählten, auf wen sie gesetzt hatten. Andy Foulsham, Chucks PR -Manager, hatte ihn beim Frühstück an das Interview erinnert, das er und Marsha im Lokalfernsehen geben sollten. An der Wagentür blieb Chuck stehen, um Marsha den Vortritt zu lassen. Während ihrer langen Ehejahre hatten sie es in puncto öffentliche Zuneigungsbekundungen wahrhaft zu hoher Kunst gebracht, dachte er. Niemand würde glauben, dass sie sich seit ihres gemeinsamen Studiums an der Universität von Alaska nicht mehr aufrichtig geküsst hatten. In der Welt der Kommunal- und Staatspolitik waren sie ein Bombenerfolg; ihre Ehe wurde oft als eine der solidesten Partnerschaften weit und breit bezeichnet, und in gewisser Hinsicht war sie das auch. Es gab alles Mögliche, was Ehen zusammenhielt. Unter anderem Geheimnisse.
    Den anstrengendsten Teil des Tages hatte er schon hinter sich, eine Rede fürs Frühstücksfernsehen, die er bei der feierlichen Eröffnung des Iditarod-Rennens in Anchorage gehalten hatte. Anders als beim offiziellen Start ging es bei der Eröffnung ganz familiär zu. Eltern ermunterten ihre Kinder, die Hunde zu streicheln und ein Stückchen mit den Schlitten der Teilnehmer zu fahren. Chucks Rede hatte von dem starken Gemeinschaftsgeist Alaskas gehandelt, davon, dass das Iditarod-Rennen – das seinen stolzen Urspung in einem dramatischen Wettlauf hatte, bei dem Diphterie-Impfstoff zu der abgelegenen Siedlung Nome gebracht worden war – Entschlossenheit und Großmut Alaskas verkörperte. Es war eine gelungene Rede gewesen, er hatte die positive Energie des Morgens nutzen und sich auf subtile Weise die Courage und Zähigkeit der damaligen Schlittenfahrer zu eigen machen können. Die Botschaft, die er in Anchorage hinterlassen zu haben hoffte, lautete, dass eine Stimme für Chuck Hillingberg im kommenden Rennen um den Gouverneursposten eine Stimme für den Geist von Iditarod war.
    Als die Hillingbergs in den Wagen stiegen, beschloss Chuck, das Reden
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