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Zeichen im Schnee

Zeichen im Schnee

Titel: Zeichen im Schnee
Autoren: Melanie McGrath
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Minuten nach dem Start des Rennens wurden die Clips im Internet verbreitet, und Chuck hoffte, wenigstens in einigen davon präsent zu sein. Andy lag ihm ständig in den Ohren, dass ein ordentliches Internetprofil im einundzwanzigsten Jahrhundert für den Wahlerfolg eines Politikers so wichtig war, wie es im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert Wahlfeldzüge durchs ganze Land gewesen waren. Das Internet sei eine billige und dynamische Plattform, von der aus sich die Hillingberg-Kampagne verbreiten ließe. Wer die Blog- und Twitterwelt beherrsche, sei schon halb am Ziel. Hatte Obama es nicht genauso gemacht?
    Bürgermeister Dillard führte sie zu den Hundegespannen, damit sie sich diese ansehen und ein paar Worte mit den ganz großen Assen wechseln konnten – mit Steve Nicols, dem Favoriten und letztjährigen Sieger, und seinem Herausforderer Duncan Wright. Während Chuck sich mit den beiden Favoriten unterhielt, machte Dillards mausgraue Frau Marsha mit zwei Außenseitern bekannt, die Andy Foulsham kürzlich als nachrichtentauglich klassifiziert hatte: einer Witwe, deren Mann bei einem Bohrinsel-Unglück im North-Slope-Ölfeld ums Leben gekommen war, und einem Ureinwohner, der den ganzen Weg von der kanadischen Hocharktis gekommen war und die Teilnahme am Rennen seinem verstorbenen Sohn gewidmet hatte.
    Anschließend begaben Chuck und Marsha sich auf das Podium neben der Startlinie. Die Menge tobte jetzt, die Blicke waren auf die Hunde und Schlitten sowie auf die heldenhaften Fahrer gerichtet, die im Begriff waren, zu ihrer dramatischen zweiwöchigen 1850 -Kilometer-Tour über Gebirgsketten und Eisfelder aufzubrechen, über die Geröllhalde von Farewell Burn, das breite Eisband auf dem Yukon River und das Treibeis des Norton Sund bis zum Zielort Nome – wohl wissend, dass zwanzig bis vierzig von den siebenundneunzig startenden Gespannen gezwungen sein würden, aufzugeben.
    Dillard erklomm die Stufen zum Podium und begann, die Teilnehmer vorzustellen. Dröhnende Musik erschallte, und auf ein Zeichen von Andy Foulsham folgten Chuck und Marsha Dillard Hand in Hand die Stufen hinauf; Chuck grinste leutselig, Marsha lächelte stumm an seiner Seite. Chuck stellte sich ans Mikrophon und sprach ein paar Worte, danach hob er die Startpistole und schoss in die Luft. Ein gewaltiger Chor aus Schlittenführerrufen und Hundegeheul erhob sich, gefolgt vom Zischen der Schlittenkufen auf dem kompakten Schnee. Als die Gefährte vorübersausten und die Hunde Tempo aufnahmen, geriet die Menge völlig außer sich.
    Chuck trat einen Schritt zurück. Er war dermaßen gefesselt von dem Begeisterungstaumel, dass er die kleine, hübsche Einheimische, die sich in einem Parka aus Robbenfell durch die Menschenmenge schob und hektisch mit den Armen gestikulierte und schrie, erst bemerkte, als sie fast mit ihm zusammenstieß.

[zur Inhaltsübersicht]
    3
    Im Polizeirevier in der Innenstadt von Anchorage trat eine Frau, die ein Klemmbrett schwenkte, aus einer Tür und rief «Edith Kiglake» auf.
    Edie wandte ruckartig den Kopf, nickte, warf sich ihren Parka über den Arm und stand auf. Es war acht Uhr abends, und sie wartete bereits seit der Mittagszeit. Der Fund im Wald hatte sie erschüttert, aber noch war ihr das gewaltige Ausmaß des Geschehens nicht recht bewusst. Es war, als hätte man sich verletzt. Man wusste wohl, dass es höllisch weh tun musste, doch das Adrenalin dämpfte die Schmerzen. Im Augenblick waren Müdigkeit und Hunger ihre vorherrschenden Empfindungen, noch überwältigender aber waren die Hitze und der Lärm. Das Studium der Tier- und Pflanzenwelt Alaskas hatte sie nicht auf das dröhnende Durcheinander des Stadt-Dschungels vorbereitet. Ununterbrochen surrte hier menschlicher Lärm. Das machte sie reizbar, und sie fühlte sich isoliert. Acht Stunden lang war sie den Geräuschen des Getränkeautomaten ausgesetzt gewesen, den Lautsprecherdurchsagen und den vielen Betrunkenen und Nutten, die wie ein ständiger Gezeitenstrom herein- und hinausfluteten.
    «Miss Kiglake?» Die Frau blickte ungeduldig aus zusammengekniffenen Augen. Sie war eine füllige Einheimische, keine Inuit – dafür sprang die Nase zu weit vor –, und sie hatte die herablassende Miene von jemandem, der Probleme damit hat, morgens zum Frühstück schon etwas zu essen, und der darüber vergessen hat, dass es noch andere Probleme gibt.
    «Mein Name ist Kiglatuk», sagte Edie.
    Die Frau sah auf ihrem Klemmbrett nach, nickte und winkte Edie in ein
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