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Zeichen im Schnee

Zeichen im Schnee

Titel: Zeichen im Schnee
Autoren: Melanie McGrath
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Hand.
    «Würden Sie einfach nur meine Fragen beantworten.» Sein Ton war keineswegs freundlich. Edie kam die Galle hoch.
    «Hören Sie, ich bin in Autisaq auf Ellesmere geboren. Autisaq hat siebzig Einwohner. Vor dieser Reise habe ich Ellesmere zweimal verlassen, einmal war ich in Iqaluit, das zweite Mal in Grönland. Ich sehe fern, unterrichte an der Schule, aber Ihre Welt, diese Welt hier, ist heiß, beengt und laut, und Sie essen Sachen, die nicht die geringste Ähnlichkeit mit Lebensmitteln haben, und ich habe ein totes Baby gefunden, und dann musste ich hier acht Stunden auf dem Flur warten.»
    Truro seufzte, wirkte aber besänftigt. «Ich will versuchen, das zu berücksichtigen.»
    Es entstand eine Pause.
    «Wissen Sie schon, wer die Mutter ist?», fragte Edie. Plötzlich erschien es ihr wichtig, der Frau zu sagen, wie friedlich ihr Baby ausgesehen hatte, und dass es nicht gelitten zu haben schien.
    «Wir sind dabei, sie ausfindig zu machen.»
    «Ich möchte gern mit ihr sprechen.»
    «Miss Kiglatuk», sagte Truro seufzend, als verfüge er über unerschöpfliche Reserven an Geduld. «Erstens: Das hier ist die polizeiliche Ermittlung in einem möglichen Mordfall. Zweitens: Es ist notwendig, dass Sie meine Fragen beantworten. Dass
Sie
Forderungen stellen, ist nicht notwendig.»
    Detective Truro blätterte in seinen Unterlagen. Edie betrachtete die Nadel in Fischgestalt an seinem Revers. Demnach war er Christ. Evangelikal, schloss sie aus dem Namen der Kirche auf der Ledermappe. Daheim auf Ellesmere tauchten des Öfteren evangelikale
qalunaat
auf. Missionsarbeit. Allerdings nur im Sommer. Die meisten Dorfbewohner waren zufrieden damit, Anglikaner oder Katholiken zu sein. Oder sie hingen, wie Edie selbst, den alten Glaubensvorstellungen an. Doch den Evangelikalen gelang es für gewöhnlich, den einen oder anderen zum Konvertieren zu bewegen. Edie vermutete, dass sie deswegen immer wiederkamen.
    «Der Mann, mit dem Sie gesprochen haben, hatte der einen Akzent?»
    «Einen Akzent, verglichen womit?» Edie gestattete sich, gekränkt zu sein, weil ihr das für einen Augenblick die Oberhand gab. Truro zog die Stirn in Falten, als warte er, dass sie weitersprach. Edie dachte an den kleinen Jungen im Schnee und wurde entgegenkommender. «Eine Art Akzent, ja.»
    Truro nickte und fuhr fort. «Die Kleidung der beiden, die langen Gewänder, der Bartwuchs des Mannes. Ist Ihnen klar, dass das, was Sie beschrieben haben, typisch für die Altgläubigen ist?»
    «Da ich Ihnen schon gesagt habe, dass ich nicht weiß, was das bedeutet, muss die Antwort wohl nein lauten.»
    Detective Truro strich über seine Krawatte. Er begegnete Edies Blick und sah fort. Dann schaltete er die Kamera aus.
    «Miss Kiglatuk, ich muss Sie fragen, warum haben Sie das tote Kind an sich genommen?»
    Warum sie das getan hatte? Schwer zu sagen. In jenem Moment waren ihre Gedanken wie ein Schneesturm in ihrem Kopf herumgewirbelt.
    «Ich wusste nicht, was in dem Paket war, als ich es an mich nahm. Und als ich es dann wusste, da wollte ich den Kleinen wohl trösten.» Sie hatte an die Geister der Menschen gedacht, die sie geliebt und verloren hatte.
    Truro hob den Blick vom Schreibtisch und sah sie eiskalt an.
    «Trösten Sie öfter die Toten, Miss Kiglatuk? Ist Ihnen klar, dass Sie unsere Ermittlungen damit ernsthaft hätten gefährden können?»
    Sie antwortete nicht.
    Truro sah sie weiterhin an, sein Blick verfinsterte sich. Sie hielt ihm stand. So verharrten sie einen Moment.
    «Die Altgläubigen sind ein Glaubenskult. Ist Ihnen dieser Begriff geläufig?»
    Sie atmete scharf durch die Nase aus. «Ich bin eine Inuit, keine Idiotin.»
    «Natürlich.» Sein Blick überflog eine getippte Seite. «Ihr Volk nennt sich hier, nebenbei gesagt, Eskimos.»
    «Ich nehme an, es nennt sich auch Alaskaner», sagte sie, «und das macht es, nebenbei gesagt, genau genommen zu Ihrem Volk.»
    «Glauben Sie an Gott, Miss Kiglatuk?» Truro wirkte konsterniert.
    Sie blickte auf die Nadel an seinem Revers.
    «Nicht so wie Sie.»
    «Dann an das Böse.»
    «Sie meinen den Teufel?» Sie dachte an den kleinen Jungen, der gefroren im Wald gelegen hatte. Hätte Truro gefragt, ob sie an das Teuflische glaubte, hätte sie gesagt: O ja, davon habe ich jede Menge gesehen. Aber einen roten Kerl mit einem gegabelten Schwanz? Sie schüttelte den Kopf.
    Ein Ausdruck von Desillusionierung, vielleicht aber auch von Enttäuschung, überzog Detective Truros Gesicht.
    «Ich will Ihnen etwas über
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