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Gruene Armee Fraktion

Gruene Armee Fraktion

Titel: Gruene Armee Fraktion
Autoren: Wolfgang Metzner
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1
     
     
    Atomforschungsreaktor, Geesthacht
     
    Dieses Licht.
    Der Mann im weißen Overall stand in der halbdunklen Reaktorhalle und starrte hinab in die Strahlen, die aus dem Wasserbecken in die Höhe stiegen.
    Dieses blaue Feuer, dachte er. Glüht so unwirklich wie das Eis eines Gletschers, kalt und heiß.
    Um seine Lippen spielte ein leichtes Lächeln.
    Schimmert so geheimnisvoll, als käme es aus weiter Ferne, aus einer fremden Galaxie.
    Noch einmal hob der Mann den Kopf mit dem Schutzhelm und schaute sich in der stillen Halle um, die mit ihrem gekachelten Bassin wie ein menschenleeres Schwimmbad wirkte. Nur das leise Surren der Lüftung war zu hören, während er die Position des schweren Krans prüfte, der unter der Decke hing. Er kontrollierte die Messinstrumente an den Leitungen, die sich wie ein Labyrinth durch den feuchtwarmen Raum zogen, stützte sich auf das metallene Geländer und beugte sich wieder über das Becken. Fixierte die Wasseroberfläche, die vor Energie vibrierte. Und ließ den Blick nach unten wandern, Meter für Meter an den Steuerstäben entlang, bis seine Augen auf dem strahlenden Reaktorkern ruhten. Eine kleine Ewigkeit lang, andächtig wie in einer Kathedrale. Das machte er jedes Mal, wenn er seine Schicht beendete. Für ihn war das keine Routine, sondern Ritual.
    Eigentlich war Hajo Niemann kein Mensch, der einen Hang zur Mystik hatte. Der massige Ingenieur mit dem teigbleichen Gesicht galt als nüchtern bis in die Spitzen seiner kurz geschnittenen Haare. Wie fast immer trug er auch heute eine unauffällig gestreifte Krawatte mit einem sorgfältig gebundenen Knoten zum weißen Hemd, dessen kurze Ärmel der Kittel verbarg. Schon bei seiner Kleidung achtete er sorgfältig darauf, dass alles richtig saß. Schließlich war es sein Job, hier für Ordnung zu sorgen. Die Steuersysteme des Reaktors zu kontrollieren. Die Datenkolonnen der digitalen Systeme zu prüfen und die kleinste Störung aufzuspüren. Das war sein Alltag, seitdem er als Sicherheitschef zur GKSS gekommen war.
    Als die »Gesellschaft für Kernenergie in Schiffbau und Schifffahrt« ihm vor acht Jahren die Stelle angeboten hatte, war ihm das wie ein Glückstreffer erschienen. Was gab es Besseres für einen ehrgeizigen Atomingenieur, der einen Posten in Norddeutschland suchte, als das Forschungszentrum vor den Toren Hamburgs? Eine international bekannte Anlage mit zwei Versuchsreaktoren? Noch dazu idyllisch in einem Wald am Elbhang gelegen, die muntere Kleinstadt Geesthacht in der Nähe und drüben am anderen Ufer ein paar Marschdörfer, wo er vielleicht ein hübsches Reetdachhaus fand?
    Sicher, bei der Einstellung hatte man ihm gleich gesagt, dass die GKSS nie wieder an jene strahlende Vergangenheit anknüpfen würde, als man dort einen Atomfrachter konstruiert hatte. Vorbei die Zeiten, in denen die »Otto Hahn« mit Kernkraft über die Weltmeere kreuzte. Deren Reaktor war längst ausgebaut, stillgelegt und entsorgt. Aber in der Halle, in der Hajo Niemann stand, war das nukleare Feuer nie erloschen. Jeden Tag konnte er dort in das bläuliche Licht schauen, das aus der Tiefe kam. Unvorstellbar, mit welcher Geschwindigkeit die elektronischen Teilchen durch das Leichtwasser schossen und jenes Leuchten erzeugten, das für ihn die Seele dieser Energie verkörperte. Die Tscherenkow-Strahlung, benannt nach ihrem russischen Erforscher. Sie hatte ihn schon bei seinem ersten Besuch eines Kernkraftwerks fasziniert.
    Als wollte er müßige Tagträumereien verscheuchen, wischte sich Niemann den Schweiß von der Stirn und richtete sich auf. Sorgfältig hielt er dabei den Kugelschreiber fest, der in seiner Brusttasche steckte.
    Nicht das kleinste Teil durfte ins Bassin fallen, während die Kettenreaktion lief, sonst würde sich der Reaktor binnen eines Sekundenbruchteils abschalten. Wenn das passierte, wäre es mit dem ruhigen Feierabend vorbei. Noch ein letzter Blick auf die Zeiger der Armaturen, dann verließ er die Brücke über dem Bassin und öffnete die elektrische Tür der Halle. Es war kurz vor achtzehn Uhr, als er hinaustrat, um zur Dekontaminationsschleuse zu gehen.
    Während er in seinen roten Plastiküberschuhen durch den neonhellen Gang lief, ärgerte er sich wieder einmal, dass nur noch einer von zwei Versuchsreaktoren in Betrieb war.
    Daran waren die Öko-Spinner schuld, die bloß irrationale Ängste schürten. Die grünen Apostel, die mit blindem Eifer gegen die Kernkraft zu Felde zogen, schon jahrzehntelang.
    Stille Wut
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