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Gruene Armee Fraktion

Gruene Armee Fraktion

Titel: Gruene Armee Fraktion
Autoren: Wolfgang Metzner
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dem er beim Wechsel von Berlin nach Hamburg angeheuert hatte, war in einer rauschenden Millenniumsparty umbenannt worden in »magazine«.
    Ungeduldig griff Grosser nach den Fotos, die ihm am nächsten lagen, und schob seine Brille in die Stirn, um mit seinen flinken Augen darüberzufliegen.
    Ein Mädchen in Kalkutta, mit vier Armen und vier Beinen geboren.
    Ein Amoklauf in Atlanta, acht Verletzte und viel Blut.
    Der jüngste Piratenüberfall vor Somalia, die Geiseln gefesselt.
    Und: sechstausend Nackte auf dem Ätna, malerisch auf ein Lavafeld drapiert.
    »Grillgut aus Italien?« Grosser leckte sich über die wulstigen Lippen. »Well done?«
    »Nicht wirklich, sondern eine Kunstperformance.« Der Leiter der Bildredaktion, Ohrring und rote Brille, gab sich Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken. »Allerdings eher halb gar, finde ich.«
    Grosser hatte Mühe, sich von den Fleischbergen zu lösen. Schließlich hob er den großen Kopf mit dem vollen dunklen Haar und sah Tom Cotten, den Leiter des Auslandsressorts, herausfordernd an.
    »Was ist mit diesem Krieg im Kongo? Mit den durchgedrehten Kindersoldaten, die dort alles niedermetzeln?«
    »Sind wir dran«, sagte Cotten. »Heute Morgen sind zwei Leute von uns mit einer Maschine vom Roten Kreuz vor Ort gelandet …«
    »Heute Morgen erst?« Grosser zog unwillig die Stirn in Falten. »Hab ich nicht gestern schon bei n-tv Berichte aus dieser Hölle gesehen?«
    Cotten, noch etwas Bräune vom letzten Kalifornienurlaub im jungenhaften Gesicht, wurde eine Spur blasser. »Bisher existieren nur ganz wenige Fotos aus dem Gebiet, in dem um Coltan gekämpft wird, dieses Zeug für Handys. Agenturbilder, nicht gerade geil.«
    Er reichte dem Chefredakteur einige Prints, die vor ein paar Minuten aus dem Drucker gekommen waren. »Darauf sehen die schwarzen Kids aus, na ja, wie …«
    »… Neger im Tunnel?« Grosser ließ fast keine Gelegenheit aus, diesen Spruch anzubringen, wenn sich dunkelhäutige Menschen auf dunklen Fotos schlecht abzeichneten. Gelächter rundum, obwohl die meisten seinen Lieblingsvergleich längst kannten.
    Heute wieder ganz Alphatier, dachte Mondrian, während der Chefredakteur in den Aufnahmen blätterte.
    »Unsere Jungs sollen mal sehen, ob sie nicht an so eine Bande von zugedröhnten Killern rankommen. Das könnte ich mir als Aufmacher im nächsten Heft vorstellen. Und was macht die Überschwemmung in Bangladesch?«
    »Weggespülte Häuser, überflutete Städte, flüchtende Menschen.« Cotten verzog das Gesicht. »Wieder so ‘ne Katastrophe, die wohl eine Folge des Klimawandels ist.«
    »Vorsicht!«, warf Max Dickens ein. »Das ist längst nicht erwiesen.« Der Leiter des Wissenschaftsressorts war dafür bekannt, dass er die Ängste um das Klima für Hysterie hielt.
    »Und will man dieses Elend überhaupt noch sehen?«, mischte sich der Artdirector ein. »Nach dem Tsunami in Japan? Die Bilder von da sind doch nicht mehr zu toppen.« Valentin Schubert war kein Freund schwerer Themen. Er fühlte sich eher in der Welt der schönen Künste zu Hause.
    »Okay, wir haben da noch eine echt starke Story über unsere Jungs in Afghanistan.« Cotten hatte es geschafft, seine Farbe wiederzugewinnen. »Ein exklusives Stück von einer Bundeswehrpatrouille …«
    Mondrian sah, wie Grosser die Augen verdrehte.
    »Netter Versuch«, sagte der Chefredakteur. »Aber von dort drucken wir erst wieder was, wenn wir ‘ne runde Opferzahl haben.« Erwartungsvoll wandte er sich dem Leiter des Ressorts Deutsche Politik zu.
    Cornelius Riesling, hoch aufgeschossen und mit beginnender Glatze, wippte nervös mit den Füßen. Kein Wunder, fand Mondrian. Schließlich war die Runde am Mittwoch die Arena, in der jeder Ressortleiter seine Storys möglichst gut verkaufen musste. Der Beauty-Contest, bei dem jeder zu brillieren versuchte. Besonders der »Dozent«, wie Riesling genannt wurde, weil er eine Attitüde pflegte, als käme er gerade von der Harvard Business School. Jetzt wartete er einen kleinen Moment. Das hatte er auf einem Rhetorikseminar gelernt.
    »Mit unserem Hauptstadt-Office beobachten wir die politische Entwicklung in Berlin.« Erneute Pause.
    Du nervst, dachte Mondrian.
    »Der Streit um die Energiepolitik geht weiter, und dazu haben wir ein exklusives Interview mit dem Vorstand des größten deutschen Stromkonzerns geführt.«
    »Was soll der schon sagen?«, fragte Grosser dazwischen. »Dass er sich darüber freut, wenn er seine Atommeiler abschalten muss?«
    »Natürlich
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