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Krank (German Edition)

Krank (German Edition)

Titel: Krank (German Edition)
Autoren: Jack Kerley
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Kapitel 1
    R-rrrrr.
    R-rrrrr .
    Ich spürte das Läuten des Telefons schon, bevor ich es hörte. Es fühlte sich an, als würde jemand versuchen, mir mit einer verrosteten Säge die Stirn aufzusägen und in mein Unterbewusstsein vorzudringen.
    R-rrrrr.
    Als ich die Augen einen Spaltbreit öffnete, fiel mein Blick auf Ahorndielen, Stuhlbeine und eine verknitterte Socke. Ich lag auf dem Boden – mit dem Kopf im Wohnraum und den Füßen im Schlafzimmer.
    R-rrrrr.
    Hinter mir entdeckte ich die Decke und das Laken, die mir wie eine verdrehte Nabelschnur folgten. Anscheinend hatte ich wieder einmal vor meinen Träumen Reißaus genommen. Ich rollte mich zum Nachttisch mit dem Telefon hinüber, ehe die Säge mich abermals terrorisierte.
    »Carson Ryder«, murmelte ich, setzte mich im Schneidersitz auf den Boden und lehnte mich ans Bett. Ich sah zur Uhr hinüber: Samstagmorgen, fünf vor halb acht. Kreischende Möwen kreisten über meinem Strandhaus am Golf von Mexiko, und hundert Meter weiter vorn brachen sich die Wellen am Strand.
    »Detective Ryder? Hier spricht Nancy Wainright vom Alabama Institute of Aberrational Behavior. Ich brauche Ihre Hilfe.«
    Ich unterdrückte ein Gähnen, während ich vor meinem geistigen Auge eine schlanke Frau um die fünfzig mit Brille, langen braunen Haaren und klugen Augen sah, denen nichts entging.
    »Was kann ich für Sie tun, Doktor?«
    »Bobby Crayline ist hier … im Institut.«
    Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen. »Schon wieder? Wieso denn das?«
    »Er soll hypnotisiert werden.«
    Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, was sie da sagte. Kaum war der Groschen gefallen, setzte ich mich kerzengerade hin und presste den Hörer ans Ohr.
    »Bobby Lee Crayline?« Im Gegensatz zu meinem Verstand arbeitete mein Herz schon auf Hochtouren. Ich spürte deutlich, wie es heftig in meiner Brust schlug. »Wer hat das angeordnet?«
    »Craylines Anwälte wollen mit Hilfe einer Regression mehr über Bobby Lees Kindheit erfahren.«
    »Das könnte dazu führen, dass Crayline erst recht ausrastet«, meinte ich. »Vangie verglich Crayline immer mit einem Eisberg, und sie hielt es für besser, die Finger von dem zu lassen, was unter der Wasseroberfläche liegt.«
    Vangie war Dr. Evangeline Prowse, Psychiaterin und ehemalige Leiterin des Instituts, in dem die gefährlichsten Psycho- und Soziopathen des Landes untergebracht und analysiert wurden. Unglücklicherweise war sie vor zwei Jahren in Manhattan unter recht bizarren Umständen ums Leben gekommen. Da Nancy Wainwright die Leitung des Instituts erst vor ein paar Monaten übernommen hatte, kannte ich Vangies Nachfolgerin kaum.
    »Detective, soweit ich weiß, haben Sie Bobby Lee im Gefängnis verhört, oder?«, fuhr Wainwright fort. »Da Sie den Mann ziemlich gut kennen, hatte ich gehofft, dass Sie die Hypnose eventuell verhindern könnten.«
    Vor meinem geistigen Auge tauchten Bilder auf, die sich tief in mein Gedächtnis eingegraben hatten: Bobby Lee Craylines reptilienartige Augen, die mich neugierig musterten, als ich den Besucherraum vom Holman Prison betrat, seine platte Nase und von Narben überzogenen Hände, die auf dem Tisch hinter der Plexiglasscheibe wie rastlose Taranteln umherhuschten. Und ich entsann mich des unerträglichen Gestanks, den sein nervös zitternder, tätowierter Körper verströmte. Nach einem verstörenden Verhör war ich schnurstracks nach Hause gefahren und hatte meine Kleider gewaschen – nur um auf Nummer sicher zu gehen gleich zweimal.
    »Craylines Anwälte werden nicht auf mich hören, Doktor«, erklärte ich. »Schließlich hatte ich kaum mit ihm zu tun und bin nur ein x-beliebiger Bulle aus Mobile.«
    »Aber Sie gehören dieser Sondereinheit an, das muss doch für irgendwas gut sein.«
    Mit ihrer Aussage bezog sie sich auf das PSET , das Psycho- und Soziopathologische Ermittlungsteam, das nur aus mir und Harry Nautilus, meinem Partner, bestand. Einmal abgesehen vom Police Department in Mobile wusste kaum jemand von der Existenz dieser Einheit, die von allen – mit Ausnahme von Harry und mir – nur Piss-It genannt wurde.
    »Na, ich bezweifle, dass das irgendjemanden beeindruckt«, meinte ich, »egal wie offensichtlich gestört Bobby Lee ist.«
    Der achtundzwanzigjährige Bobby Lee Crayline war vor sieben Monaten verhaftet worden, nachdem er einen Kollegen entführt hatte. Im Lauf seines Lebens war er immer wieder vom rechten Weg abgekommen und gewalttätig geworden. Zum ersten Mal fiel er auf, als er in
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