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Sweet about me

Sweet about me

Titel: Sweet about me
Autoren: Dietmar Sous
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    M it vier wusste Maya, dass der Braune Waldvogel weder Schnabel noch Federn hat, weil er kein Vogel, sondern ein Schmetterling ist. Maya wollte Züchterin werden, um Schwalbenschwanz und Pantherfalter vor dem Aussterben zu bewahren. Aber nicht nur die Grazien zogen sie an, auch der unscheinbare Kleine Kohlweißling konnte sich auf ihre Sympathie verlassen.
    An Raupen durfte sich in unserem Garten niemand vergreifen, sie standen unter Naturschutz, gegen den ich manchmal heimlich bei nächtlichen Razzien mit Taschenlampe und wenig Erfolg verstieß. Auch Brennnesseln, wichtige Landeplätze für Schmetterlinge, machten sich ungehindert und hochnäsig breit.
    Kaum konnte Maya lesen, mühte sie sich mit Schmetterlingskunde und dem Auswendiglernen von wissenschaftlichen Bezeichnungen ab. Korscheltellus lupulina. Pharmacis fusconebulosa. Abends schlief sie oft mit dem Lehrbuch in den Händen ein.
    Sie hasste Schmetterlingssammler, weil die ihre Beute töteten und aufspießten. Nie versuchte sie, die Tiere einzufangen, sie lief ihnen bloß nach und betrachtete sie, wie sie Blütennektar saugten oder sich ausruhten.
    Viele Jahre war Mayas Zimmer ein Museum für selbst gemalte Schmetterlingsbilder, an den Wänden eine Tapete aus Finger-, Sprüh- und Wasserfarben. Kurz nach ihrem vierzehnten Geburtstag hängte sie die Bilder ab und ersetzte sie durch Fotos, auf denen der Schauspieler Johnny Depp zu sehen war.
    Gegen Sterben und Aussterben kämpfte sie aber weiterhin. Sie pflückte Schnecken und Regenwürmer von der Straße, brachte Spinnen vor dem Staubsauger in Sicherheit. Sie stellte ihre Versuche nicht ein, den Rest der Familie einschließlich der Katze zu Vegetariern umzuerziehen und rannte nach wie vor mit einer Handglocke über die an unser Haus angrenzenden Wiesen, um Mäuse, Igel und Käfer vor dem Bauern und seinem Mäher zu warnen.
    In wenigen Stunden würde sie gestrandete Krebse und Quallen einsammeln und ins Meer zurücktragen. Dabei hätten Maya, Betty und ich viel dringender einen Retter gebraucht. Doch dass wir unserem Untergang entgegenfuhren, konnte keiner von uns ahnen.
    » Mach mal lauter«, sagte Maya, als der holländische Sender einen übernervösen Mix aus Techno, House und Drum and Bass brachte.
    Maya saß auf dem Rücksitz, zu beiden Seiten von Käfigen eingezwängt, in denen Meerschweinchen und Zwergkaninchen den Sinn ihres Lebens darin sahen, für schlechte Luft zu sorgen. Ich schaltete das Radio aus.
    » Das Problem ist, dass ich mich bei dieser Musik nicht aufs Fahren konzentrieren kann«, sagte ich.
    » Du bist zu alt für diese Musik, das ist das Problem!«, rief Maya.
    » Hallo, mein Schätzchen! Ich bin fünfundfünfzig und nicht fünfhundertfünfundfünfzig! Und übrigens: Neulich auf dem Elternabend hatte mindestens die Hälfte der Väter einen Bauch und eine Glatze, die meisten anderen hatten graue Haare. Ich bin nicht fett, habe keine Glatze und nur ganz wenige graue Haare.«
    » Von wegen! Du hast total viele, die solltest du dir mal färben lassen –«
    » Schluss jetzt, Maya«, sagte Betty, die noch kein einziges graues Haar hatte. » Nimm deine Mütze ab, und dann unterhalten wir uns mal über deine Frisur.«
    Maya hatte vor ein paar Wochen in einem Zweithaarsalon ihre langen kastanienbraunen Haare abschneiden lassen, weil sie ein paar Euro für ein Sonderangebot in einem Kramladen brauchte. Wir hatten ihr nämlich wegen militantem Vegetarismus für einen Monat das Taschengeld gesperrt. Während Betty und ich mit Genuss ein laut Gütesiegel artgerecht gehaltenes Hähnchen essen wollten, hatte Maya uns mit Nazis verglichen, dazu ein Gebrüll wie im Schlachthof: » Mörder!«
    Für hundert Briefmarken mit Tiermotiven aus irgendwelchen Operetten- und Musicalstaaten opferte Maya ihre Haare, auf die Betty und ich so stolz gewesen waren. Für wertloses, schreiend buntes Zeug und ein kleines Album ließ sie sich scheren, entstellen. Zwei Euro waren noch übrig geblieben. Die investierte sie im selben Laden in einen grünlichen » Edelstein« aus Plastik und einen Schlüsselanhänger aus Vietnam, Geschenke für Betty und mich.
    Seit dieser Aktion trennte sich Maya nicht mehr von ihrer schwarzen Mütze. Einem Lehrer, der die Kopfbedeckung im Unterricht nicht dulden wollte, erzählte sie von einer Chemotherapie. Die Klassenlehrerin hatte mir telefonisch Betroffenheit und Mitgefühl ausgedrückt. Ich hatte das Gespräch schnell beendet.
    » Das ist doch nicht normal«, sagte Betty, als ich zum
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