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Zeichen im Schnee

Zeichen im Schnee

Titel: Zeichen im Schnee
Autoren: Melanie McGrath
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    Prolog
    Sammy Inukpuk lenkte den Hundeschlitten von der glatten Eisfläche des Meeres hinauf zur Baumgrenze. Nichts schien auf dem Pfad anders zu sein als an den vorhergehenden Tagen. Es war ein später, mondheller Abend, die Luft war kalt und trocken, der Schnee zernarbt von den Kufen der Schlitten vor ihnen, aber kompakt und reibungsfrei.
    Die fünfzehn im Gespann verbliebenen Hunde – einer musste vor ein paar Tagen ausscheiden, weil er sich an einem Eissplitter die Pfote aufgeschnitten hatte – mühten sich mit hängenden Zungen die langgestreckte Steigung hinauf; ihre straff gespannten muskulösen Körper zeugten von Willenskraft und Anstrengung. Über die vergangenen zehn Tage und sechzehnhundert Kilometer hatte Sammy sie im leichten Galopp laufen lassen, mit proteinreichem Mischfutter in Schwung gehalten und ihnen nur dann Ruhe gegönnt, wenn die Regeln des Iditarod-Rennens es vorschrieben.
    Als der Schlitten in den dunklen Schatten der Bäume eintauchte, trieb Sammy die Hunde mit lauten Rufen an; er kletterte vom Gefährt und lief neben dem Gespann her, um zu verhindern, dass die Tiere vor dem veränderten Licht oder der plötzlichen Stille zurückschreckten.
    Einen halben Kilometer ging es weiter bergan. Kurz bevor sie den höchsten Punkt erreichten, legte die Leithündin in freudiger Erregung ein irrsinniges Tempo vor. Das Gespann taumelte im Geschirr nervös hinter ihr her. Auf dem Kamm holte Sammy tief Luft und ließ die Hunde verlangsamen. Er klappte die Bremsmatte herunter, die dem Schlitten bei der Abfahrt Widerstand verlieh. Die Leithündin schnupperte in die Luft und führte das Gespann vorsichtig den Hang hinab, wobei sie die Krallen der Vorderpfoten ins Eis grub, um Halt zu haben. Ein Stück weiter unten wurden die Hunde unruhig und nahmen Tempo auf. Sammy suchte mit den Augen die Gegend ab, fragte sich, ob sie vielleicht ein anderes Tier gewittert hatten, einen Fuchs womöglich. Er nahm jedoch keine Bewegung wahr, und es waren auch keine frischen Spuren zu sehen. Sammy befahl dem Gespann, zu verlangsamen, aber die Hunde waren jetzt so aufgeregt, dass sie nicht gehorchten. Quietschend sauste der Schlitten immer schneller bergab, schwankte gefährlich von einer Seite zur anderen. Sammy packte den Haltegriff, trat mit dem rechten Fuß auf die Bremse, zuerst sachte, dann fester, bis sie sich in den kompakten Schnee krallte. Sammy zitterte am ganzen Leib vor Anstrengung. Die Hunde sträubten sich kurz, gingen dann wieder in Formation und schlugen ein gemächlicheres Tempo an, wodurch der Schlitten wieder mehr Kontakt mit dem Pfad bekam. Just als Sammy sich ein bisschen entspannte, tat es unter ihm einen lauten Krach: Eine Seite der Bremsstange war komplett abgerissen. Unversehens schnellte der Schlitten vorwärts. Entsetzt, aber machtlos, klammerte Sammy sich an den Haltegriff, befahl den Hunden schreiend, langsamer zu laufen. Die Tiere deuteten den plötzlichen Ruck des Schlittens jedoch als Signal zum Beschleunigen. Immer schneller galoppierten sie den eisglatten Hang hinab.
    Angst durchzuckte Sammy wie ein Blitz. Vor sich sah er einen Buckel, er rief
nakilivaa
!, langsam!, aber zu spät. Ein Stoß, ein Knirschen, und plötzlich flog der Schlitten in hohem Bogen durch die Luft. Sammy fühlte sich schwerelos und benommen und versuchte verzweifelt, den Haltegriff umklammert zu halten. Den Bruchteil einer Sekunde darauf schlug der Schlitten mit einem heftigen Krachen auf. Sammy schnappte nach Luft. Der Schlitten war nicht umgekippt, rutschte aber wie wild von einer Seite auf die andere. Sammy krallte sich mit aller Kraft fest. Dann passierte, was er am meisten befürchtete: Ein Hund rutschte aus. Taumelnd, aber noch im Geschirr, drehte er sich auf dem Eis, mitgerissen vom Tempo der vor ihm laufenden Hunde. Andere stolperten über das gestürzte Tier. Am Ende standen von den fünfzehn Hunden im Gespann nur noch sieben oder acht aufrecht. Die anderen, heillos im Geschirr und miteinander verheddert, purzelten und schlitterten den Pfad hinab.
    Sammy spürte, wie der Schlitten heftig auf der Achse wankte. Ein Fichtenzweig peitschte ihm ins Gesicht, dann noch einer. Sie waren jetzt abseits vom Pfad und schlitterten durch die Bäume abwärts. Ein schwindelerregender Adrenalinstoß durchströmte Sammys Brust. Und da kippte der Schlitten um. Sammy wurde in die Luft geschleudert und starrte mit Schrecken auf die riesengroße, ungerührte Fichte, die in Windeseile auf ihn zuzurasen
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