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Supernova

Supernova

Titel: Supernova
Autoren: Charles Stross
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prolog
wednesday child
     
    Einschlag: T plus 1392 Tage, 18 Stunden, 09 Minuten
     
    Mit klopfendem Herzen spurtete Wednesday durch die finsteren
Gänge der Raumstation. Den unbarmherzigen Verfolger, der ihr
hinterherrannte, konnte sie zwar nicht sehen, doch sie spürte
seine Gegenwart als fortwährende Bedrohung. Es war ein Hund.
Eigentlich hätte die mörderische Bestie gar nicht hier sein
dürfen, genauso wenig wie sie selbst. Alt-Neufundland 4 wurde
gerade für alle Zeiten evakuiert; das letzte Schiff hätte
schon vor vierzehn Minuten vom grünen Dock ablegen sollen, um
von der nächsten flachen Raumzeit aus den rettenden Sprung zu
wagen. Ein Icon, das im Inneren ihres linken Auges eintätowiert
war, zeigte ihr, wie viel Zeit bereits überzogen war. Im
Zeitplan für den Start waren keine ausgerissenen Teenager oder
wahnsinnige, mit Geheimbefehlen ausgestattete Dresdner
Flugkapitäne vorgesehen. Auch keine Gestapohunde, deren Augen,
scharf wie Zielfernrohre, vor Mordlust glühten. Wednesday rang
verzweifelt um Atem. Ihre Nerven lagen vor Panik fast blank, und die
dünne, unbewegte Luft stach ihr in die Lungen. Sie war kaum
älter als sechzehn. Und wenn sie keine Möglichkeit fand,
den Hund abzuschütteln und bald zurück in die Radnabe zu
gelangen, in der die Docks lagen…
    Sie wollte nicht hier sein, wenn die Schockwelle eintraf.
    In einer Entfernung von 3,6 Lichtjahren – vor fast 3,6 Jahren
– waren alle zweihundert Millionen Bewohner einer unbedeutenden
McWelt namens Moskau gestorben. Moskau, ein mit sich selbst
beschäftigtes, fast ländliches Gemeinwesen, hatte sich zu
diesem Zeitpunkt mitten in politischen Umwälzungen und einem
hässlichen Handelsdisput mit Neu-Dresden befunden. Im Grunde war
es um gar nichts Aufregendes gegangen: Der Streit hatte mit
biologischer Vielfalt, Freihandel, dem Einsatz von Technologien im
Agrargeschäft und der Festlegung von Wechselkursen zu tun
gehabt. Alt-Neufundland 4, Raumhafen 11 war das letzte Hoheitsgebiet,
das von der Bundesrepublik Moskau übrig geblieben war. Vor vier
Stunden hatten sie auf dem zentralen Platz in der Radnabe die
Staatsflagge eingeholt und aus Anlass des endgültigen
Rückzugs ein letztes Mal die Trompeten schmettern lassen; dann
waren sie langsam zu den Docks marschiert. Das Spiel war verloren, es
gab keine Nation mehr. Dresdner Kriegsschiffe hatten seinerzeit
aufgrund eines Missverständnisses einen Frachter aus Moskau
umzingelt und Schüsse auf die von Menschen bevölkerten
Docks abgegeben. Anschließend hatte irgendjemand den
Hauptplaneten Moskau mit einer geächteten Waffe in Schutt und
Asche gelegt. Bis zum heutigen Tag bestritt die nachfolgende Dresdner
Regierung vehement jede Verantwortlichkeit für diesen Schlag,
auch wenn sie die damals amtierende Regierung vorsichtshalber
hingerichtet hatte.
    Wednesday hatte keine sonderlich deutlichen Erinnerungen an
Moskau. Ihr Vater war als Ingenieur für den Stickstoffkreislauf
zuständig gewesen, ihre Mutter als Ökologin auf Einzeller
spezialisiert. Sie hatte mit ihrer Familie seit dem vierten
Lebensjahr auf der Raumstation gelebt, denn ihre Eltern gehörten
zu dem Team, das für die Erhaltung des Versorgungsnetzes im
Herzen des riesigen orbitalen Komplexes verantwortlich war. Aber
jetzt stand dieses Herz still. Es gab keinen Grund mehr, sich
irgendetwas vorzumachen. In weniger als einem Tag würde die
Schockwelle, ausgehend vom Hauptplaneten Moskau, dem glühenden
Scheiterhaufen, an ihnen vorbeirasen und ein Chaos auf jedem Habitat
anrichten, das nicht durch einen gut dreißig Meter dicken
Gürtel aus Metall und Gestein geschützt war.
Alt-Neufundland, das in einer steten Umlaufbahn um einen
planetenlosen braunen Zwerg kreiste, war schlicht zu groß und
zu schwach, um im Abstand von wenig mehr als einem Parsec einen
Supernova-Sturm zu überstehen.
    Als Wednesday an eine Kreuzung gelangte, blieb sie keuchend stehen
und versuchte sich zu orientieren, wobei sie mit aller Macht ein
verzweifeltes Wimmern unterdrückte. Links, rechts, aufwärts
oder abwärts? Dass sie bis zu den Habitatebenen des großen
Rades hinuntergerutscht war, hatte sich als Fehler erwiesen, auch
wenn es hier Fahrstühle und Notausstiege gab, die bis zur
Radnabe hinauf und bis zur Zone mit den Versorgungssystemen hinunter
führten. Das Hauptpostamt, die Verkehrsüberwachung, der
Zoll und die Bio-Quarantäne lagen alle in der Nähe des
Versorgungszentrums. Aber der höchste Punkt des mit
Druckausgleich versehenen Radkranzes
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