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Zeichen im Schnee

Zeichen im Schnee

Titel: Zeichen im Schnee
Autoren: Melanie McGrath
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überwiegend Marsha zu überlassen. Er hörte zu, wie seine Frau den Interviewer mit etlichen heimatlichen Jagd- und Schießgeschichten aus ihrer Jugendzeit bezauberte. In Wahrheit war sie nicht oft jagen gewesen, sicher nicht so oft wie Chuck, der einen Großteil seiner Jugendjahre damit verbracht hatte, an allem seine Wut auszulassen, von der Bisamratte bis zum Elch. Doch Marsha machte immer ein großes Getue um ihr raues Leben in der Siedlung, wo sie aufgewachsen war, und weil sie ein Einzelkind war und ihre Adoptiveltern beide tot waren, gab es niemanden mehr, der ihr widersprechen konnte. Im Gegensatz zu ihm musste sie ihre Begeisterung für den Staat nicht heucheln. Sie hatte Chuck immer wieder gesagt, es gebe nicht viele Orte in Amerika, wo man mehr oder weniger tun und lassen konnte, was man wollte, ohne dafür belangt zu werden. Das Leben in diesem Grenzland war tatsächlich so, wie es in den Reiseprospekten stand: «Jenseits Ihrer Träume, innerhalb Ihrer Reichweite.» Der Trick sei, sagte Marsha immer, dafür zu sorgen, dass nichts jenseits der Träume lag.
    Sie war Chuck zuerst als kluge, entschlossene Sechzehnjährige aufgefallen, als sie sich um den Vorsitz des Vorbereitungskomitees für den Abschlussball an der Highschool von Wasilla beworben hatte. Schön war sie damals gewesen, die langen kastanienbraunen Haare dicht und glänzend, die schlanke Taille vom Alter noch unberührt. Aber es war nicht so sehr ihr Äußeres gewesen, das ihn angezogen hatte, als vielmehr ein Anflug von Skrupellosigkeit, den er in ihrem Lächeln entdeckt hatte. Die Geschichte ihrer Adoption rührte ihn, weil er sah, wie entschlossen sie war, sich anzupassen, die Umstände ihrer Geburt zu ändern, eine echte Alaskanerin zu werden. Seit jener ersten Begegnung hatte er gewusst, dass sie es weit bringen und sich von niemandem aufhalten lassen würde.
    Einmal hatten sie sich für kurze Zeit getrennt, als er die Praktikantenstelle im Washingtoner Büro von Steven Horowitz antrat, dem republikanischen Junior Senator für South Carolina. Aber als er, an der Last seines Hinterwäldlertums leidend, kleinlaut zurückgekehrt war, hatte sie ihn wieder aufgenommen. Noch im selben Jahr hatten sie geheiratet. Es war nicht so sehr eine Vernunftheirat als vielmehr ein Zusammentreffen gemeinsamer Interessen gewesen.
    Während des vergangenen Jahres hatte sein Interesse sich auf den Gouverneurswahlkampf konzentriert. Bis vor wenigen Wochen schien Tom Shippon, der Amtsinhaber, so gut wie unbesiegbar zu sein. Shippon war durch und durch Alaskaner. Er stammte aus einer alteingesessenen Familie. Sie waren Alaskaner, ehe Alaska 1959 ein Bundesstaat der USA wurde. Sein Vater Scoot hatte sich schon vorher stark in der alaskischen Politik engagiert. Die Shippons hatten überall ihre Finger im Spiel, von der Lachsfischerei über Nutzholzgewinnung bis zur Öl- und Gasförderung. Die einzigen Geschäfte, bei denen sie nicht unmittelbar mitmischten, waren Tourismus und Erholung. Weichei-Geschäfte sagte Tom Shippon dazu, allerdings nur im privaten Kreis.
    Chuck besaß weder den Vorteil, ein Amt zu bekleiden, noch war seine Herkunft der Art, dass sie ihn in der Staatspolitik automatisch dahin brachte, wohin er strebte. Für einen Jungen aus New Jersey war es schwer, sich dagegen zu stemmen und auf den Sieg zu hoffen. Andere Außenseiter hatten es versucht, aber nur wenige mit Erfolg; für gewöhnlich wurden ihnen die Spitzenpositionen verwehrt. Er sah zu sehr nach einem
cheechako
aus, einem Neuling ohne Erfahrung. Im Frühstadium des Wahlkampfes gab es einige, die ihm sogar vorwarfen, Alaska im Stich gelassen zu haben, weil er nach Washington und damit außer Landes gegangen war. Was einfach lächerlich war angesichts der Tatsache, dass das zwanzig Jahre her war. Aber die Alaskaner betrachteten sich beharrlich als isoliert. Man war entweder für sie oder gegen sie, und deswegen wurde die Episode in Washington von manchem Großmaul noch heute als Verrat bezeichnet.
    Im vergangenen Jahr hatte er doppelt hart arbeiten müssen, um diese Leute davon zu überzeugen, dass er von ganzem Herzen Alaskaner war – was umso schwieriger war, als es nicht der Wahrheit entsprach. Als er erst Stadtrat und dann Bürgermeister von Anchorage wurde, hatten es seine Gegner nicht allzu schwer gehabt, ihn als Großstadtmenschen hinzustellen, der mit echten Alaskanern und ihren Interessen wenig gemein hatte. Und hier war Marsha auf den Plan getreten. Ihre aufrichtige Begeisterung
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