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Zeichen im Schnee

Zeichen im Schnee

Titel: Zeichen im Schnee
Autoren: Melanie McGrath
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orientieren. Dort, wo Edie herkam, auf der Insel Ellesmere, knapp achthundert Kilometer vom Nordpol entfernt, gab es keine Bäume, nur raue, steinige Tundra. An klaren Tagen konnte man die Krümmung der Erde sehen. Die unbekannte Landschaft Alaskas war auch so eine Sache, die Edie sich nicht richtig klargemacht hatte, als sie sich bereit erklärte, Sammy zu helfen, nachdem sein einziger noch lebender Sohn, Willa, sich den Arm gebrochen hatte. Jetzt frischte der Wind auf, fegte über den Waldboden und zerstieb den Schnee zu kleinen Flockenfontänen. Die Fichtenstämme ringsum knarrten ganz leise, und eine Pulverschneewehe schneite von den Ästen auf die Erde. Wäre sie länger als zwei Tage in Alaska gewesen, wüsste sie möglicherweise schon, woher der Wind überwiegend wehte, aber nicht mal damit war sie vertraut. Sie blickte nach oben, konnte die Sonne durch die Wipfel jedoch nicht sehen. Sie hatte keine Möglichkeit herauszufinden, in welche Richtung sie sich bewegte.
    Weit entfernt krächzten Raben, ganz nah knackte ein Zweig, und dicht über dem Boden raschelte etwas, ein Fuchs vielleicht. Es war extrem unverantwortlich gewesen, ohne Gewehr hier herauszukommen, so wie sie es gemacht hatte, als sie noch trank. Eine Gewohnheit, die sie hoffentlich ein für alle Mal abgelegt hatte.
    Sie nahm ein Vibrieren wahr, das sich dann langsam zum tiefen Heulen eines Motors steigerte. Sie war so erleichtert, dass sie hätte juchzen können. Das Geräusch näherte sich, und kurz darauf kam ein Schneemobil in Sicht. Edie grinste, winkte und wartete, aber das Gefährt setzte seinen Weg fort, ohne auch nur zu verlangsamen. Edie lief ihm in den Weg, schrie und gestikulierte wild mit den Händen. Der Fahrer schob sein Visier hoch, und heraus schauten zwei Augen, die inmitten des graumelierten Bartgewirrs fast verloren wirkten. Hinter ihm saß teilnahmslos eine Beifahrerin mit Silberfuchsfäustlingen an den Händen. Unter den Daunenparkas trugen beide anscheinend lange, bauschige Kasacks und dazu passende Hosen. Das Paar kam offensichtlich vom wöchentlichen Lebensmitteleinkauf. Das Schneemobil war über und über mit Taschen behängt.
    «Hey, haben Sie mich nicht winken gesehen?» Edie war ärgerlich. Hatten die Leute hier unten keine Manieren? «Ich habe mich verirrt. Ich muss zum Hatcher Pass zurück.»
    Der Mann zuckte die Achseln. «Sie sind hier auf Altgläubigen-Besitz», sagte er nur.
    Sie hätte am liebsten gesagt, ihr sei schnuppe, ob sie auf Leckmich-Besitz sei, aber sie beherrschte sich. «Ich weiß nicht mehr, wo mein Fahrzeug ist.»
    Der Mann blickte erstaunt, deutete dann aber mit dem Kopf in die Richtung, aus der er und seine Beifahrerin gerade gekommen waren. «Wenn Sie Ihre Spuren nicht finden können, folgen Sie unseren», sagte er. «Ist das Ihr Motorschlitten da unten auf dem Weg?»
    Motorschlitten. So nannten sie die Gefährte hier unten im Süden, in Alaska. Wo Edie herkam, fuhr man nicht einfach vorbei, wenn man ein Schneemobil sah, auf dem niemand saß, sondern hielt an, um zu sehen, ob jemand Hilfe brauchte.
    «Sind Sie immer so hilfsbereit?»
    Der Mann sog missbilligend die Luft durch die Zähne. «Die Sorgen der Welthaften sind nicht unsere Sorgen», sagte er und drehte sich zu der Frau hinter sich um. Danach wirkte er ein wenig nachgiebiger. «Wir haben es nicht gern, wenn Fremde sich unbefugt auf unserem Besitz herumtreiben, das ist alles. Ich an Ihrer Stelle würde mich hüten, so bald wieder dieses Weges zu kommen.»
    Damit löste er die Bremse, klappte sein Visier herunter und bediente den Gashebel. Das Schneemobil setzte sich in Bewegung, und Edie sah die zwei im finsteren Wald verschwinden. Sie kehrte um, die Spuren des Schneemobils immer im Blick behaltend, wie ihr der Mann geraten hatte. Kurze Zeit später war durch eine Lücke zwischen den Bäumen die Straße zu erkennen, die zurück in die Stadt führte, und in der Ferne erspähte sie ihr Schneemobil.
    Erleichtert ging sie darauf zu. Wo die Spuren schließlich dem Weg mit festgefahrenem Schnee wichen, erblickte sie am Fuß einer Fichte einen leuchtend gelben Gegenstand, der durch die Äste des Baumes vor Schnee geschützt war. Ihr kam der Gedanke, dass das Paar womöglich etwas von seinem Schneemobil geworfen hatte. Sie verließ den Weg und ging hin, um nachzusehen.
    Beim Näherkommen stellte sie zu ihrer Überraschung fest, dass das gelbe Ding ein Miniaturhaus aus Holzbohlen war, einer kleinen Hundehütte nicht unähnlich, einen Meter lang und
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