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Zaster und Desaster

Zaster und Desaster

Titel: Zaster und Desaster
Autoren: René Zeyer
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VR-Präsidenten, aber die sind beide morgen unabkömmlich. Also werden Sie sich zuerst als deren persönlich Bevollmächtigten identifizieren.« Tja, hatte Hugentobler gedacht, die haben halt ihre Villen in der Nähe eines Golfplatzes schon längst gekauft. »Und inhaltlich besteht Ihr Mandat darin, der Landesregierung klarzumachen, dass wir einen Überbrückungskredit brauchen, Valuta nicht später als in dreißig Tagen.«
    »Okay«, hatte Hugentobler gesagt, »wird denen nicht besonders gefallen, kann aber mal vorkommen, müssen die ja bei den aktuellen Turbulenzen auf den Finanzmärkten verstehen. Und der Betrag?«
    Der COO zögerte einen Moment: »Nun, ohne da auf technische Details eingehen zu wollen und um Ihnen das big picture zu geben: Wir brauchen 80 Milliarden.«
    Hugentobler hatte eine Sekunde gewartet, dann wollte er ein Gelächter anstimmen, in das der COO sicherlich einstimmen würde, aber der COO verzog keine Miene. »80 Milliarden, okay«, hatte Hugentobler trocken erwidert, »und werde ich da von einer Ambulanz mit Reanimationsausrüstung begleitet?«
    Aber der COO hatte wieder einmal bewiesen, dass er seinen Ruf, von tiefster Humorlosigkeit zu sein, zu Recht verdiente. »80 Milliarden«, hatte der COO nur wiederholt, »da ist dann Ihre Million Sondervergütung bereits inbegriffen.«

Drei
    Früher hatte Peter Kuhn über solche Schwächlinge immer gelacht, die links und rechts von ihm vom Kampfkarussell fielen, was die Karriereplanung in der EBS in Wirklichkeit war. Manche waren richtig ausgetickt, wenn sie der Straffung des Backoffice, der neuen strategischen Ausrichtung der Abteilung, der Neupositionierung angesichts der verschärften Wettbewerbsbedingungen oder schlicht und einfach einer Intrige zum Opfer fielen.
    Magengeschwüre, Herzkasperli, Schwindelanfälle, Schlafstörungen, Existenzängste, Burnout, welche Weicheier, hatte Kuhn gedacht, Karriere ist Kampf, da werden keine Gefangenen gemacht, eine Kündigung muss man als Chance sehen, die mit mindestens zehn Prozent Gehaltserhöhung an der neuen Stelle verbunden ist. Ist doch ganz einfach, hatte Kuhn gedacht, wer zuerst vom Gas geht, verliert, so ist das im Banking des 21. Jahrhunderts.
    Also hatte es Kuhn ganz cool genommen, als ihm Human Resources statt der von ihm erwarteten und eigentlich überfälligen Beförderung zum Prokuristen mit Kollektivunterschrift zu zweit die Kündigung serviert hatte. Das letzte Assessment habe leider eine gewisse Underperformance im strategischen Bereich ergeben, was nun dem Jobprofil im Rahmen des Change Management, dem sich die Abteilung Asset Allocation Europa verschrieben habe, nicht mehr ganz entspreche. »Das ist Ihr Problem, nicht meins«, hatte Kuhn ungerührt erwidert, »wurde mir strategisch gesehen sowieso langsam etwas zu eng hier.«
    Da er, im Gegensatz zu seiner Selbsteinschätzung, kein Abgang war, der besonderer Betreuung bedurfte, konnte er alleine ans Pult in seinem Großraumbüro zurückgehen. Dort nahm er die Postkarte mit der Wall Street drauf ab, die er als einzigen Schmuck an die halbhohe Wand gepinnt hatte, die seinen 1,4-Quadratmeter-Arbeitsraum vom nächsten Büroschwengel abgrenzte, überprüfte, ob er alle privaten Mails wirklich gelöscht hatte, und räumte ein paar Kugelschreiber und einen Stapel Visitenkarten in seinen Kunstlederaktenkoffer. Eigentlich war dieser belanglose, graue, schon leicht abgenützte Schreibtisch für ihn immer das Kommandopult gewesen, von dem aus er die Strategie seiner Karriere steuerte. Zunächst der eigene Glaskasten wie Supervisor Haas, der darin schon ganz schön wichtig tun konnte. Dann der Sprung zum Abteilungsleiter mit Eckbüro, richtigen Wänden und sogar einer kleinen Besprechungsbeule am Schreibtisch, wenn auch noch nicht eine Sitzgarnitur mit Glastisch. Und dann der Sprung aus dem Maschinenraum, wie er das Verarbeitungszentrum der EBS immer genannt hatte, an die Bahnhofstrasse. Nun, dachte Kuhn, dann wird der Weg dorthin halt über eine andere Bank führen. Er wollte als letzte Amtshandlung noch sein Telefon auf die Zentrale umstellen, aber als er den Hörer abhob, blieb die Leitung tot. Nicht schlecht, dachte Kuhn, so muss das im modernen Geschäftsleben sein.
    Dann hatte er die übliche kleine Abschiedstour gemacht, den siebzehn Mitgliedern seines Teams die Hand geschüttelt, die Überraschung, Bedauern und die besten Wünsche für seine Zukunft heuchelten. »Wir sehen uns«, hatte Kuhn ein paarmal gesagt, aber häufiger hatte er gesagt:
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