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Zaster und Desaster

Zaster und Desaster

Titel: Zaster und Desaster
Autoren: René Zeyer
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HSG durcharbeiten konnte, war es schon 10.25 h. Also zurrte sich Kuster die YSL-Krawatte fest, mittelblau zum hellblauen Hemd, nahm das graue Brioni-Jackett vom Kleiderbügel, knöpfte den Zweireiher ordnungsgemäß zu und nahm vorsichtshalber einen Betablocker aus der wohlbestückten Büroapotheke, in letzter Zeit musste er doch vermehrt auf seinen Blutdruck achten. Dann schlenderte er zum Lift, hielt seinen Badge an den Sensor und tippte den vierstelligen Code ein, den man brauchte, um direkt in den sechsten Stock fahren zu dürfen.
    »Hallo, Frau Grimm«, sagte er dann mit strahlendem Lächeln zu Bürgissers Personal Assistent, aber bevor sie antworten konnte, wurde die schwere Eichentür zum Eckbüro des CEO aufgerissen, und Ackermann stürmte heraus, aschgrau im Gesicht. Zum ersten Mal sah ihn Kuster ohne sein unverwüstlich erscheinendes Lächeln, mit dem Ackermann sonst reihenweise deutsche Steuerhinterzieher über den Tisch zog und dazu überredete, sogar noch was dafür zahlen zu dürfen, dass die Kreditunion ihre Schwarzgelder beherbergte und auf eigene Rechnung gewinnbringend anlegte. Mit Ackermann hatte sich Kuster schon viele lustige Duelle geliefert, wer im Monat mehr Spesen produzierte, der Verlierer lud zu Petermann ein, auf Spesen natürlich.
    Aber jetzt zischte Ackermann ihm nur zu: »Viel Spaß mit dem Arschloch da drin«, und stapfte hinaus. Frau Grimm zu fragen, was da los war, wäre etwa so sinnvoll gewesen, wie gegen eine Panzertür zu treten, also setzte sich Kuster hin und war froh, einen Betablocker eingeworfen zu haben.
    Frau Grimm schaute kurz von ihrem Kommandopult auf und sagte: »Herr Bürgisser bittet Sie, sich noch drei Minuten zu gedulden.« Kuster schaute auf seine goldene Patek Philippe und konzentrierte sich auf die Bewegung des Sekundenzeigers. Nach einer gefühlten kleinen Ewigkeit sagte Frau Grimm endlich: »Herr Bürgisser lässt bitten.«
    Kuster meinte zu spüren, wie die elektronische Verriegelung sich löste, als er auf die schwere Messingtürklinke drückte, dann watete er durch den altmodischen Hochflurteppich zum bombastischen Schreibtisch von Bürgisser und wunderte sich ein weiteres Mal, wie man so geschmacklos sein und so hoch aufsteigen konnte, als er die Krokodillederschreibgarnitur betrachte, die neben einem Telefon und einem Familienfoto in einem viel zu großen Silberrahmen die einzige Dekoration auf der glattpolierten Oberfläche bildete. Da lag allerdings auch ein Blatt Papier, und Kuster beschloss, jeden Scherz über Ackermann zu unterlassen. Bürgisser winkte ihn in den Besucherstuhl, Kuster knöpfte sich den Zweireiher auf und setzte sich.
    Bürgisser blickte auf und schaute ihn über die Ränder der Lesebrille an: »Ach ja, Philipp, kommen wir gleich zur Sache. Bad news, wir haben eine schmerzliche Entscheidung treffen müssen. Wie du ja weißt, haben uns die Lowman-Papiere einen ziemlichen Haufen Ärger beschert, dazu die Rahmenbedingungen, nun«, Bürgisser nahm die Lesebrille ab und schaute sie angelegentlich an, »und du hast ja mit Abstand am meisten davon verkauft. Wir sehen uns gezwungen, aus Gründen der Reputation bei ausgewählten Kunden allfällige Verluste zumindest teilweise zu saldieren. Das bedeutet, dass deine Leistungsbilanz in den letzten drei Quartalen eindeutig im Negativen liegt. Deshalb haben wir entschieden«, Bürgisser ermannte sich und schaute Kuster direkt in die Augen, »dein Anstellungsverhältnis zu terminieren. Das beinhaltet in keiner Weise, dass wir mit deiner Performance …«
    Kuster hatte eigentlich seit dem Ausdruck »bad news« gewusst, was da auf ihn zukam, aber er hatte es einfach nicht glauben wollen. Aber nun konnte er nicht anders: »Aber du hast mich doch persönlich dazu angetrieben, möglichst viel vom dem Schrott zu verkaufen«, unterbrach er Bürgisser, »wenn hier jemand gefeuert werden müsste, dann du!« Kuster konnte nicht verhindern, dass seine Stimme immer lauter wurde.
    Aber offensichtlich hörte das Bürgisser nicht zum ersten Mal: »Ich kann mich nicht erinnern, dementsprechende Weisungen erteilt zu haben, die Auswahl aus den Anlageempfehlungen ist ja immer dem einzelnen Kundenberater überlassen, nicht wahr. Ich persönlich bedauere diese Entwicklung sehr, aber ich bin überzeugt, dass wir diese Situation korrekt und anständig bewältigen werden.« Bürgisser hatte sich wieder die Lesebrille aufgesetzt und schaute schräg an Kuster vorbei.
    Dem kam plötzlich ein schrecklicher Verdacht, er sprang
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