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Zaster und Desaster

Zaster und Desaster

Titel: Zaster und Desaster
Autoren: René Zeyer
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»Wenn ich bei meiner nächsten Stelle einen Stellvertreter brauche, dann werde ich sicher nicht an dich denken.« Dann ein kumpelhafter Rippenstoß, und Kuhn hatte den Geruch des Großraumbüros, miefender Kaffeesatz und Fotokopierpapier, mit auf die Straße genommen und dort abgeschüttelt. Ein starker Abgang, dachte er.
    »Endlich sind wir dieses Riesenarschloch los«, sagte im Großraumbüro eines seiner Ex-Teammitglieder, das damit für alle sprach.
    Kuhn lockerte seine Krawatte und bemerkte erstaunt, dass er um halb elf morgens einer der ganz wenigen Aktenkofferträger im Tram war. Zu Hause legte er wie immer sein D&G-Jackett über den Kleiderhaken in seiner Drei-Zimmer-Wohnung, gute Lage, 3000 Franken im Monat. Dann setzte er sich auf das De-Sede-Sofa, mitsamt dem größten Teil der Einrichtung geleast, 1500 Franken im Monat. Er überlegte sich, ob er mit seinem schwarzen Audi (geleast, 850 Franken im Monat, ohne Versicherung) eine kleine Runde drehen sollte, vielleicht ein Abstecher zu seinem Fitnessclub (300 Franken Monatsgebühr).
    Dann goss er sich doch zunächst ein Glas Elsenham ein, sparkeling, aus England, 10 Franken pro Angeberflasche, aber er hatte gedacht, wenn sein Chef vielleicht mal zu Besuch käme, könnte er damit punkten. Das Edelwasser Elsenham, das hatte ihn überzeugt, auch »The Millionaire Water« genannt, das passte irgendwie zu ihm. Vielleicht sollte ich doch mal gleich den nächsten Karriereschritt in Angriff nehmen, sagte er sich dann.
    Zwei Stunden später hatte er alle seine Bekannten durchtelefoniert. Drei hatten nur gelacht und aufgelegt, die meisten hatten gesagt: »Klar, ich höre mich um, wenn mir was über den Weg läuft, dann rufe ich dich sofort an«, was Kuhn richtig als klare Aufforderung, sich selbst nicht mehr zu melden, interpretierte. Weitere vier hatten gesagt: »Ach ja? Wenn ich eine neue Stelle für mich gefunden habe, dann gehe ich das an, du stehst also auf Platz zwei meiner Prioritätenliste.«
    Und Büchi, dieser Sack, mit dem Kuhn einige Nächte in Londoner Pubs durchgesoffen hatte, während sie den Fortbildungskurs »New Trading Strategies for Winners« besucht hatten, hatte kühl gesagt: »Kennen wir uns?«, und dann gleich aufgelegt.
    Okay, sagte sich Kuhn, das ist nicht ganz optimal gelaufen, war ja auch nur ein Schnellschuss. Dann halt Plan B. Und den Rest des Tages verbrachte er damit, ein windschnittiges Bewerbungsdossier zu basteln, mit allen Schikanen. Tabellarischer Lebenslauf, Qualifikationen, Assessments, Zeugnisse, Farbfoto oben rechts, stichwortartige Aufzählung seiner Kernkompetenzen, Erfolge, Fortbildungen, besondere Fähigkeiten (analytisch, organisiert, belastbar, lösungsorientiert, Winner-Typ). Dann hatte er alles auf eine CD gebrannt und zum nahegelegenen Copy-Shop gebracht. »Ja klar, auf 120-Gramm-Papier, gestrichen, im Schnellhefter, ist übermorgen fertig«, hatte der Angestellte gesagt und seine CD auf einen beeindruckend hohen Stapel weiterer CDs gelegt.
    Zwei Monate später saß Kuhn unrasiert um zehn Uhr morgens in seiner Wohnung und goss sich Leitungswasser in sein Glas ein. Er hatte 117 Bewerbungen verschickt, bei jeder einzelnen den zuständigen HR-Menschen heraustelefoniert und jede einzelne mit einem knackigen Einleitungsbrief versehen, in dem er kurz und knapp ausführte, mit welcher Begeisterung er sich in genau diese Bank hineindenken könne, die ja nun wohl wie maßgeschneidert auf seine Fähigkeiten angewiesen sei. Kuhn hatte nicht vermeiden können, in den letzten 18 Bewerbungen hinzuzufügen, dass er bezüglich Eintrittstermin sehr flexibel sei und notfalls auch innert 24 Stunden eine Vakanz ausfüllen könne. Sein Briefkasten hatte sich mit 56 dicken Couverts gefüllt, der Schluss der Begleitschreiben war immer identisch gewesen: »Deshalb senden wir Ihnen Ihre Unterlagen zu unserer Entlastung zurück und wünschen Ihnen in Ihrer beruflichen Laufbahn weiterhin viel Erfolg.« 17 Couverts waren weniger dick gewesen, der Schlusssatz im Schreiben lautete: »Wir gestatten uns, Ihre Unterlagen bei uns pendent zu halten und werden gegebenenfalls gerne auf Sie zurückkommen. Zurzeit sehen wir aber keine Möglichkeit, Ihnen ein Stellenangebot zu unterbreiten, das Ihren Qualifikationen entspricht.«
    Unter besondere Ereignisse gab es noch den Anruf eines Herrn Wälti, HR-Management: »Herr Kuhn«, hatte der ihn angeblafft, »spielen wir hier Pingpong oder was? Ich habe Ihnen Ihre Bewerbungsunterlagen letzte Woche
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