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Zaster und Desaster

Zaster und Desaster

Titel: Zaster und Desaster
Autoren: René Zeyer
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wie Kuster gerne sagte. Denn individuelle Kundenpflege, das war das Sahnehäubchen im Private Banking.
    Aber jetzt waren nur noch 5 Tonnen in Witwe Wehrlis Depot, denn wer hatte denn schon ahnen können, was für ein Riesenschlamassel die Amis wieder anrichten würden. Und als Kuster Mitte 2008 noch für 4 Mio Lowman-Papiere in Wehrlis Depot drückte, da hatte er eigentlich nur an die 5 Prozent Extrakommission gedacht, mit der er sich dann seine Winterferien auf Bora Bora finanzierte. Beim Schnorcheln in den wunderbaren Korallenriffen direkt vor seinem Privatbungalow hatte ihn dann zwar kurz der Gedanke an das bevorstehende Gespräch mit Frau Wehrli durchzuckt, aber das nehmen wir step by step, hatte er sich gleich wieder beruhigt. Was kann ich denn dafür, wenn ich als Private Banker nicht mehr den Anlageempfehlungen unserer Heerscharen von Analysten vertrauen kann, die mit den modernsten Computern bewaffnet ganz weit in die Zukunft schauen können? Und die hatten schließlich, noch einen Tag bevor Lowman hops ging, nur rosarote Wölkchen an den Horizont gemalt, wobei ihnen alle hochbezahlten Spezialisten der Rating-Agenturen aus vollem Herzen zustimmten.
    Aber an diesem kalten Februartag saß Frau Wehrli vor ihm, wischte sich dezent die Lippen mit ihrem Hermès-Schal ab und schaute ihn erwartungsvoll an. Kuster zögerte keine Sekunde: »Alles bestens, Frau Wehrli, alles großartig, nirgendwo sind Ihre 9 Millionen sicherer als bei einer Schweizer Traditionsbank. Vielleicht noch ein Schokolädli?«
    Denn lügen, ohne rot zu werden, gehörte inzwischen auch zur Grundausstattung eines seriösen Schweizer Privatbankers.

Zwei
    Hugentobler hatte es wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Womit habe ich das verdient, seufzte er. Eigentlich wollte er nur noch die letzten zwei Jahre vor seiner Frühpensionierung absitzen. Oberes Kader, sieben Abteilungen unter sich, Schnittstelle zwischen, Hugentobler dachte einen Moment nach, das letzte Organigramm hatte er, wie seine unzähligen Vorgänger, ungelesen gelöscht, na ja, Schnittstelle halt, Koordination von irgendwas, direkt rapportieren an den COO, der seine Rapporte aber glücklicherweise auch ungelesen löschte, denn Hugentobler hatte nie eine Antwort, pardon, ein Feedback bekommen.
    Nachdem er seine Ambitionen, vielleicht doch noch den Sprung in die erweiterte Geschäftsleitung zu schaffen, begraben hatte, fand er seine Position, abgesehen von den gelegentlichen unsäglichen Fortbildungskursen, pardon, Updates, im Rahmen von Challenge 2000, Challenge New Century, Challenge Beyond und wie der Quatsch auch immer hieß, eigentlich ganz angenehm. Gelegentlich einen Mitarbeiter wegbeißen, der zu offensichtlich auf seinen Stuhl schielte, gelegentlich mal eine Aufgabe, pardon, Task annehmen, sie selber lösen, wenn es nicht mit zu viel Arbeit verbunden war, sie an einen seiner drei Stellvertreter delegieren, wenn sie nach Arbeit aussah, sie an den Stellvertreter delegieren, der ein gewisses Gefährdungspotenzial ausstrahlte, wenn die Task mal wieder nicht nur Schwachsinn, sondern unlösbarer Schwachsinn war, also alles angenehme Routine. So konnte er sich in Ruhe darauf konzentrieren, sein Handicap auf eine sagenhafte Sieben zu verbessern, und schon häufig hatte er die Kataloge diverser Condominiums studiert, in Florida, Indonesien und auch auf ein paar kleinen Inseln in der Karibik oder im Pazifik. Alle natürlich in der Nähe eines 18-Loch-Platzes, und bis gestern hatte er diese Entscheidung für die schwierigste und eine seiner letzten wichtigen im Leben gehalten. Und nun das.
    Dass die EBS nicht gerade toll dastand, war Hugentobler nicht entgangen. Da er aber seine Aktienoptionen immer sofort ausgeübt hatte und sein Geld in einer netten Stiftung in Liechtenstein lagerte, die, sicher ist sicher, von einem Trust auf Guernsey-Island eingerichtet worden war, der seinerseits von einer Briefkastenfirma auf den Bahamas kontrolliert wurde, gelernt ist gelernt, hatte Hugentobler gedacht, war ihm das eigentlich schwer am Allerwertesten vorbeigegangen. Er hatte schließlich keinen Rappen in ein Derivategebastel investiert, weder in CDO noch in irgend sonst einen Wettschein ohne Wert.
    Als er das erste Mal seit Jahren gestern dem COO gegenübergesessen hatte, war sein erster Reflex gewesen: Sofort kündigen, was soll denn das … Denn nachdem ihm der COO erklärt hatte, dass die EBS nicht nur nicht so toll dastand, sondern eigentlich pleite sei, und zwar pleite im Sinne von:
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