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Das einsame Herz

Das einsame Herz

Titel: Das einsame Herz
Autoren: Heinz G. Konsalik
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    Durch den staubigen Sand der Landstraße mahlten die Räder.
    Knarrend schwankte der hölzerne, gelb lackierte Kasten der Postkutsche auf den ächzenden, morschen Achsen, um die der Staub wirbelte und die Steine hochgeschleudert wurden, während die beiden müden Pferde an der langen Deichsel die Beine kräftiger nach vorn warfen, die nahe Poststation und damit Ruhe und volle Tröge witternd. Der schläfrige Postillion auf dem breiten Bock, hinter dem sich die Koffer, Kisten und Säcke zu Bergen stauten, wohl verschnürt mit einem dicken Seil, das den ganzen Wagen kreuz und quer von dem Dach aus überspannte, griff widerwillig zu seinem Horn und setzte es an den Mund.
    »Eine Pulle Schnaps wäre besser«, murmelte er und blies dann ins Horn, daß der Ton von den Bergen widerhallte und im langsam verebbenden Abendrot zitternd untertauchte.
    Im Innern der Kutsche saßen, durch die hüpfenden Räder hin und her geschleudert, zwei Männer und eine ältere Frau, die durch eine Lorgnette hinaus in die abendliche Landschaft blickte und ab und zu ihre Mitreisenden durch schrille Ausrufe des Erstaunens oder des Schreckens aus einem gefühllosen Halbschlaf aufschreckte.
    »Messieurs«, rief sie eben schrill. »Stimmt es, daß in dieser Gegend schon zweimal eine Postkutsche aus Chemnitz überfallen wurde? Mon Dieu – die Gegend ist so wild –, sehen Sie bloß die dunklen Berge, die schwarzen Wälder; wenn nun ein Dieb hinter der nächsten Biegung lauert.«
    Und da die Herren keine Antwort gaben, zeterte sie: »Die Kutsche aus Chemnitz …«
    »Wir sitzen in einer Kutsche aus Dresden«, sagte der ältere der Herren laut und grollend im Spott. »Das wissen die Räuber. Zudem sind wir zwei Männer, die mit der Pistole wohl umzugehen verstehen – meinen Sie nicht auch, Herr Nachbar?«
    Der Angeredete war ein junger Mann von knapp zwanzig Jahren. Unter den hellen blonden Haaren wölbte sich eine hohe Stirn, die dem blassen Gesicht mit den großen, fast immer erstaunt blickenden Augen die Form eines geistigen Träumers verlieh, während der schmale Mund über der leicht gebogenen, zartsatteligen Nase stets zu einem wehmütigen Lächeln bereit schien. Sein grauer Reiserock über den gestreiften, engen Hosen mit den Schuhstegen, die sauberen, gepflegten Lackschuhe und der zierliche biegsame Stock mit der Elfenbeinkrücke, der zwischen seinen Beinen stand, verstärkten den Eindruck eines vornehmen, aber in der Tiefe des Wesens ein wenig scheuen Edelmannes.
    »Ich würde lieber eine Salbe mischen, als mit einem Revolver um mich schießen«, gab der junge Reisende zur Antwort. »Mir scheint aber, daß die Furcht der Dame unbegründet ist. Die Gegend ist zwar wild, denn unser Erzgebirge ist nun einmal ein von Menschen wenig betretenes Land, aber vor Räubern könnte man weniger Furcht haben als vor dem Zustand der schrecklichen Straßen.«
    So schicklich er gesprochen hatte, so erregt war die Dame mit der Lorgnette. Sie betrachtete den Herrn eine Zeitlang, ehe sie wieder aus dem Fenster schaute und sich an dem Rahmen festhielt, als die Kutsche mit lautem Gepolter durch ein tiefes Loch der Straße holperte.
    »Parbleu!« rief sie dabei. »Die Straßen in Deutschland sind greulich! Gibt es hier keinen Landesherren, der für das Wohl der Reisenden zu sorgen hat?«
    »Die Straßen sind das Andenken des Herren Napoleon«, antwortete der Ältere giftig, indem er dem Jüngeren zublinzelte, sich an dem Gespräch zu beteiligen. »Wenn er heuer nicht auf St. Helena säße, würde man ihn wohl zwingen können, auch diese Straße wieder aufzubauen.«
    Die Dame schwieg. Dann, nach einer ganzen Zeit, als besinne sie sich auf ihr Franzosentum, bemerkte sie laut: »Ich glaube, daß Napoleon, wenn er noch in Deutschland wäre, anderes täte, als Straßen aufzubauen.«
    Die Pferde draußen in der Deichsel rissen kräftiger an den Seilen.
    Die Straße stieg jetzt ein wenig an, um hinter dem Berg leicht abzufallen und auszulaufen in die nahe Poststation, einen kleinen Ort mit Namen Frankenberg, der indes als Kuraufenthalt und Erholungsstätte weithin gerühmt wurde. Der Postillion auf dem Bock schmetterte schon seinen Willkommensgruß über den Berg und schob den Lackzylinder in den Nacken, während er fester die Peitsche griff.
    Das Abendrot war verblaßt, eine fahle Dämmerung schlich von den Bergen ins Tal, ein kühler, herbstlicher Wind rauschte in den Tannen und fegte den Staub von der Straße in kleinen Wirbeln fort.
    Die Wiesen an den Hängen
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