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Das einsame Herz

Das einsame Herz

Titel: Das einsame Herz
Autoren: Heinz G. Konsalik
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solch eine Empfehlung pfeife ich! Ich muß bleiben, ich habe kein Geld, um die Stellung zu sichern – aber du! Du bist was Feineres – habe ich gleich gesehen! Geh morgen erst gar nicht hinunter – fahre mit der nächsten Post wieder nach Dresden zurück! Hier vermißt dich keiner!«
    »Ich muß bleiben – der Herr Vater befahl es. Befehle werden bei uns gehalten, auch wenn man daran zerbricht!«
    »Herr Vater! Befehl! Bis man zerbricht! Blödsinn! Menschenschinderei! Die Französische Revolution hat die Freiheit des Individuums gelehrt! Du kannst das tun, was du willst, wenn du es verantworten kannst. Oder willst du hier zu Grunde gehen?«
    »Wenn man es zu Hause will?«
    »Hast du keinen Mut, zu leben?«
    »Ich kenne nur Gehorsam.«
    »Himmelstockschwerenot! Gehorsam hört da auf, wo Gehorchen Wahnsinn und Mord ist! Mach deinem Vater klar, daß Knackfuß ein Unhold ist – dann wird er schon einsehen, wer recht hat!«
    Otto Heinrich schüttelte den Kopf. »Mein Vater ist Münzmarschall in Dresden. Er kennt im Leben nur ein Ideal: Dienen! Dienen bis zur Selbstaufgabe! Dienen, bis der Tod das letzte Siegel setzt. Und er verlangt es auch von mir. Kennst du den ›Prinzen vom Homburg‹ des Dichters Kleist? Auch dieser Prinz wurde verurteilt, weil er einem Befehl nicht gehorchte und frühzeitig eine Schlacht begann. Er gewann die Schlacht, aber sein Urteil lautete auf Tod, weil er eigenmächtig handelte. – Wie dieser Kurfürst, so ist mein Vater! Hart, gerecht, eisern, aufgewachsen in der absoluten Pflicht – seine Liebe ist Gehorsam!«
    Der Riese Bendler sann einen Augenblick. Dann schüttelte er den Kopf, erhob sich, setzte sich auf den Bettrand und stützte den langen Kopf in die Hände.
    »Das klingt schön«, sagte er, »aber ich komme nicht mit! Ich bin die neue Zeit, die Revolution, die Umwertung aller Werte – ich habe von Robespierre und Danton gelernt, von Napoleon und Stein – und der Rousseau, lieber Kollege, dieser Rousseau ist ein toller Bursche, ein Genie der Freiheit wie der brodelnde Beaumarchais! Mögt ihr in Dresden nach dem Marsch des alten Dessauer die Hacken wirbeln und Schritte üben – euer Preußentum ist morsch! Was einmal die Welt beherrschen wird, ist die große Freiheit aller gegen alle – der unteilbare Raum der Welt für eine große Bruderschaft!«
    Otto Heinrich Kummer blickte hinaus in die Nacht.
    Die Rede des Kollegen wühlte ihn auf.
    Seine Hände klammerten sich an dem Fensterrahmen fest, während er den Kopf an die kühle Mauer lehnte.
    »Ich habe auch einmal so gesprochen, damals, vor einem Jahr in Dresden. Mein Vater verstand mich nicht – er strafte mich durch Arrest! Dann zitierte ich Schiller. Freiheit, rief ich, Freiheit. Den Don Carlos trug ich vor – Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire! – und die ›Räuber‹ nahm ich mit in die Kammer und las sie im Kerzenschein unter der Decke. – Was nutzte es? Ich kam nach Frankenberg …«
    »Weil du Schiller lasest?« stammelte der Riese.
    »Nein …«, antwortete leise der Sinnende … »Weil ich selbst ein Dichter bin.«
    Daraufhin war es eine lange Zeit still im Raum.
    Um den Dachfirst sang der Nachtwind.
    Irgendwo in der Ferne bellte verschlafen ein Hund.
    Lauter als Wind und Bellen aber war der Atem der beiden Männer, deren Herzen sich in dieser Nacht fanden.
    »Ich habe so einfach du gesagt«, murmelte Bendler nach einer Weile. »Laß uns dabei bleiben – ich glaube, wir sind beide irgendwie am Leben gescheitert. Wir müssen jetzt hart sein, um uns durchzubeißen – wir haben viele Feinde – die ganze zivilisierte Welt, das ganze Bürgertum mit seinen satten Moralitäten, die Aristokratie und den Staat. Wir stehen einsam, junger Freund, aber es ist unendlich schön, zu wissen, daß unsere Zeit noch kommt und wir die Tränen jener Sturmflut sind, die einst das Morsche wegschwemmt!«
    Er stand auf und trat zu Otto Heinrich Kummer, legte ihm den Arm um die schmale Schulter und starrte mit ihm hinaus in die Nacht und die ziehenden Wolken.
    »So habe ich manche Nacht gestanden«, sagte er leise. »Und manchmal dachte ich: jetzt machst du Schluß! Aber dann war es manchmal nur ein Kinderlachen, das mich zurückrief in die Wirklichkeit, manchmal nur ein Vogel, der hier vor mir auf der Dachrinne sang, oder auch nur das Rauschen der Bäume, wenn sie im warmen Sommerwind von der Ewigkeit erzählen.« Er lächelte schwach und wendete sich ab. »Jetzt hast du mich elegisch gemacht. Ich bin nämlich ganz anders, rauh,
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