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Das einsame Herz

Das einsame Herz

Titel: Das einsame Herz
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wurden bläulich-grün, und über den Himmel schoben sich violette Wolken, die an den Rändern schon begannen schwarz zu werden.
    Im Innern der Post war das Gespräch weitergegangen.
    Die Dame, immer noch in der Angst, überfallen zu werden, hatte sich den Herren als eine Frau von Colombique vorgestellt, während der ältere der Herren knurrend seinen Namen – Herr von Seditz – nannte. Allein der Jüngere erhob sich leicht, verbeugte sich mit allem Anstand und sagte, daß er Otto Heinrich Kummer heiße und geradewegs aus Dresden komme.
    Die Dame blickte auf und musterte den Edelmann genauer.
    »Kummer? Kummer?« Sie sprach das ›u‹ wie ein ›ü‹ und dehnte das ›er‹ wie ein wohlgenährtes ›ä‹ – Kümmääär. »Monsieur Kummer? Ich kannte einen Monsieur Kummer in Dresden. Einen – wie sagt man doch – einen Monsieur Münzmarschall.«
    »Das ist mein Herr Vater!« rief der junge Reisende erfreut und stolz aus. »Sie kennen meinen Vater, Madame?«
    »Excellent! Ein vorzüglicher Mann. Klug, witzig mit Esprit, wie er in Paris in den Salons zu finden ist. Ich lernte ihn kennen bei einem Hofball – er stand in der Hofloge und machte mir ein entzückendes Honneur.«
    Die Dame lächelte und nickte dem Herren zu, sich wieder zu setzen.
    Otto Heinrich Kummer, dem die Gesellschaft der Frau von Colombique in keiner Weise mehr belästigend war, warf sich in das harte Polster der Bank zurück und nahm den Stock wieder zwischen seine Knie. Knurrend blickte Herr von Seditz aus dem Fenster in die beginnende Dunkelheit.
    »Ihr Herr Vater ist ein stattlicher Mann«, führte die Dame die Unterhaltung nach einer kurzen Pause fort. »Ganz anders als Sie, Monsieur. In meiner Heimat sagt man: Sie müssen mehr Klöße essen!« Sie lachte leise und klappte die Lorgnette auf und zu.
    »Sie sehen so blaß und abgespannt aus – Sie fahren sicherlich zur Kur nach Frankenberg.«
    »Mitnichten«, antwortete Otto Heinrich lächelnd. »Ich trete in Frankenberg eine neue Stelle an.«
    »Oh – eine Stellung? In diesem Nest?«
    »Die Wahl fiel auf Frankenberg, weil mein Herr Vater gute Verbindungen zu meinem neuen Herren besitzt. – Ich bin Apotheker, Madame – und Kranke gibt es in Frankenberg ebenso wie in Dresden.«
    »Sehr edel«, nickte Frau von Colombique. »Apotheker. Soso – kennen Sie ein Mittel gegen den Schlagfluß?«
    Herr von Seditz, der der Unterhaltung mit sichtlichem Widerwillen gefolgt war, nickte nun an des Jüngeren Stelle, und ein höhnisches Lächeln glitt über seine braungebrannten, männlich-herben Züge.
    »Weniger essen«, sagte er laut, indem er die Dame musterte und einen langen Blick auf der rundlichen Fülle ihres Leibes und Busens haften ließ. »Essen ist zwar eine der angenehmsten Beschäftigungen – aber Frauen sollten sich mäßigen.«
    Die Unterhaltung war durch diesen unliebsamen und ungalanten Einwurf beendet, sehr zum Bedauern des Apothekers, der gerne noch ein paar Kleinigkeiten über seinen Vater gehört hätte. Aber Frau von Colombique drehte den beiden Reisenden brüsk die Schulter zu, sah aus dem Fenster in die sternenlose Nacht hinaus und klammerte sich nur einmal am Fensterrahmen fest, als die nun abfallende Straße die Kutsche in einen holpernden Galopp brachte.
    Herr von Seditz nickte in der Dunkelheit seinem Gefährten zu. Dann beugte er sich vor, legte seine Lippen an das Ohr Otto Heinrichs und flüsterte:
    »Sie sollten vorsichtiger sein, Herr Kummer. Ich kenne Ihren Herrn Vater besser als diese alte Schachtel – und ich kenne auch Sie!« Und als der Apotheker verwundert zusammenzuckte, zischte Seditz: »Psst! Das Weib reist ohne Paß – genügt Ihnen das? Sie mußte aus Dresden flüchten, weil sie eine unliebsame Staatsaffäre wegen – na sagen wir – Spionage aufgewirbelt hat. Ihr Herr Vater erkannte rechtzeitig den wahren Grund ihrer Anwesenheit, und nur mit List entging sie den Schergen. Jetzt reist sie ins Kursächsische und dann weiter nach Thüringen.«
    »Aber warum verhaftet man sie dann nicht?« fragte Kummer ein wenig argwöhnisch.
    »Sie hat durch den französischen Gesandten in Dresden einen ›laissez passer‹ erwirkt, der sie für Sachsen sozusagen fangunmöglich macht!«
    Dem Apotheker stand für einen Augenblick der Atem still, indem er in die dunkle Ecke starrte, wo er die Umrisse der fülligen Gestalt schattenhaft bemerkte.
    »Und Sie, Herr von Seditz?«
    »Ich bin ihr Schatten. Ich reise mit der Extrapost voraus, um sie in Thüringen in Empfang zu
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