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Verführerische Unschuld

Verführerische Unschuld

Titel: Verführerische Unschuld
Autoren: CHRISTINE MERRILL
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1. KAPITEL

    „Ist Ihnen kalt, Miss Esme? Soll ich den Kamin anheizen lassen?“
    Esme Canville widerstand der Regung, ihren Schal enger um die Schultern zu ziehen. „Nein, Meg, es ist schon recht so, ich brauche kein Feuer. Im Moment benötige ich gar nichts. Danke.“
    Dessen ungeachtet huschte das Mädchen geschäftig im Zimmer umher und rückte unnötigerweise hier und da einen Gegenstand gerade. „Wirklich nicht, Miss? Ist es nicht ein wenig kühl?“
    „Nein, Meg, vielen Dank. Du kannst gehen.“ Sie versuchte, entschieden, aber nicht zu bemüht zu klingen. „Ich möchte jetzt lesen“, erklärte sie, während sie sich auf das zierliche Sofa setzte und zu einem Buch griff.
    Beobachtete die Kammerzofe sie zu interessiert? Sie war sich nicht sicher. Meg war neu und ihrem Arbeitgeber sehr ergeben. Sicher keine Verbündete, dachte Esme, doch hoffentlich mir auch nicht feindlich gesinnt. Allerdings sollte ich mich besser möglichst normal benehmen, falls sie Vater jedes ungewöhnliche Verhalten meinerseits hinterbringen muss.
    Zögernd meinte Meg: „Nun, wenn Sie meinen. Aber es ist noch recht kalt heute Morgen.“
    Esme durfte nicht zulassen, dass ihre Zofe sich querstellte, deshalb verkündete sie sehr herablassend: „Ich finde es belebend. Und äußerst ökonomisch. Mein Vater würde es sicher nicht billigen, am Morgen Kohlen zu verschwenden, wenn der Nachmittag angenehme Temperaturen verspricht.“
    Daraufhin nickte Meg, bereit gutzuheißen, was der Hausherr guthieß. „Wenn Ihr Vater es so wünscht, Miss, dann natürlich. Aber Sie werden läuten, wenn …“
    „Gewiss, wenn ich etwas brauche. Nun geh, Meg.“
    Als das Mädchen endlich fort war, seufzte Esme erleichtert auf und eilte zum Kamin. Mit ihrer früheren Zofe war sie besser zurechtgekommen, doch die, fand ihr Vater, war ihr eine zu gute Freundin geworden, und als sie dann den Dienst an ihrer Herrin über den Gehorsam dem Hausherrn gegenüber stellte, musste sie gehen. Meg, die Neue, nahm ihre Pflichten viel zu ernst.
    Esme faltete ihren Schal mehrfach, legte ihn sorgfältig auf den Boden vor dem Kamin und kniete sich darauf, wobei sie dankbar vermerkte, dass das Personal die Feuerstelle stets gründlich fegte; so fiel das bisschen Asche auf der grauen Wolle kaum auf. Sie betätigte die Zugklappe und legte das Ohr an die entstandene Öffnung. Aus dem unter ihrem Zimmer liegenden Raum drangen Stimmen herauf. Das Arbeitszimmer ihres Vaters und ihr eigener Raum teilten sich einen Rauchabzug, und auch dort unten wurde nicht geheizt. Esme schloss die Augen und versuchte, sich vorzustellen, was dort vor sich ging.
    „… dass Sie gekommen sind. Wir werden gewiss zu einem für alle Beteilitgen befriedigenden Arrangement kommen.“ Das war ihr Vater.
    „Aber ohne ein einziges Treffen? Sind Sie sicher?“ Die fremde Männerstimme wurde leiser, der Besucher schien sich vom Kamin zu entfernen.
    Esme stieß ärgerlich die Luft aus. Konnten die da unten nicht still stehen?
    „Das ist nicht notwendig.“ Sie sah förmlich, wie ihr Vater verächtlich abwinkte. „Sie wird tun, was ich ihr befehle. Und Sie sahen ja die Miniatur, nicht wahr? Ich versichere Ihnen, das Bild ist ihr sehr ähnlich.“
    Esme strich sich übers Haar. Das erwähnte Porträt zeigte sie wirklich von ihrer besten Seite. Allerdings war es schon vor einigen Jahren gemalt worden. Natürlich war sie nun, mit zwanzig, noch kein Ladenhüter, aber die großäugige Unschuld von damals war sie auch nicht mehr.
    „… entzückend.“ Ah, der Mann kam zum Kamin zurück, man hörte ihn wieder besser. „Sehr nach meinem Geschmack. Und sie wird ganz bestimmt einwilligen?“
    „Das ist nicht von Bedeutung. Sie wird gehorchen oder die Folgen tragen. Und da es heißt, Sie oder keiner, wird sie bald einsehen, dass es weise ist, zuzustimmen. Sie wäre töricht, auf Besseres zu hoffen.“
    Wieder verklangen die Stimmen unten. Esme presste die Lippen so fest zusammen, dass sie nur noch ein weißer Strich waren. Wie konnte sie auf Besseres hoffen? Man erlaubte ihr ja nicht einmal, an einer einzigen Saison teilzunehmen, oder gar, wie andere junge Damen, ohne Begleitung ihres Vaters zu Geselligkeiten zu gehen. Sie verbrachte ihre Abende zu Hause, entweder allein in ihrem Zimmer oder in Gesellschaft ihres Vaters und seiner Freunde, die alle nicht jünger als er selbst waren – und bestimmt keine Heiratskandidaten.
    „Ein so junges schönes Mädchen wie Ihre Tochter würde mir sehr zusagen.“
    Jung. Er
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