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Wo wir uns finden

Wo wir uns finden

Titel: Wo wir uns finden
Autoren: Patrick Findeis
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vergrößert an seinen abgemagerten Armen, die voller Muttermale sind. Mein Vater kann sich nicht erinnern, dass Klobbe früher so viele Muttermale hatte.
    Ist gestorben vor ein paar Jahren, sagt mein Vater.
    Kleiner dicker Glatzkopf, sagt Klobbe.
    Hässlich wie die Nacht, sagt mein Vater.
    Der Engelhard vom Schützenverein, sagt Klobbe.
    Genau der, sagt mein Vater.
    Durch seine Nickelbrille betrachtet ihn Klobbe und tritt zur Seite, er trägt ein kariertes Baumwollhemd, das ihm zu weit ist, eine helle, saubere Jeans. Im Flur steht ein zusammengeklappter Rollstuhl, es riecht nach Babypuder, und mein Vater wünscht sich einen Augenblick lang, dass Klobbe ihn angreift, dass Grams da drin auf dem Sofa sitzt und beide auf ihn losgehen, dass er Prügel bezieht wie ein räudiger Hund, dass er am Ende aber stärker ist als beide zusammen. Er lässt die Hand über die Griffe des Rollstuhls gleiten und lächelt, bevor er das Wohnzimmer betritt, wo sie sich dann schweigend gegenübersitzen. Mein Vater hat eine große Dose Tabak auf dem Tisch erwartet, Zigarettenhülsen und eine Stopfmaschine, vielleicht Bier. Aber nur eine Spieluhr steht auf einem Spitzendeckchen in der Mitte des Wohnzimmertisches: ein Gondoliere in seiner Gondel aus Porzellan. Die Kirchenuhr schlägt, dann wird es still. Das Haus erinnert meinen Vater an sein eigenes.
    Achtundzwanzig Jahre, sagt Klobbe.
    Mein Vater nickt, er greift nach der Spieluhr, Klobbes Hand zuckt vor, als wolle er ihn davon abhalten, er zieht sie wieder zurück.
    Wie geht es Ihrem Kind? fragt Klobbe.
    Er lebt, sagt mein Vater und dreht das Gewinde der Spieluhr auf. Auf seiner Handfläche lässt er sie kreisen, sie spielt O sole mio, und mein Vater räuspert sich und sagt: Ich war noch nie in Italien.
    Hochzeitsreise, sagt Klobbe und lächelt meinen Vater an, der die Uhr wieder aufzieht und abspielen lässt.
    Paddeln die mit dem Ding, oder stoßen die sich vom Grund ab? fragt er.
    Klobbe hebt die Schultern und sagt: Mal so, mal so.
    Besser als gar keine Arbeit, sagt mein Vater.
    Ich hab Maschinenbau studiert, sagt Klobbe.
    Ist schwer im Moment, sagt mein Vater.
    Ich bin krank, sagt Klobbe: chronisch.
    Mein Vater zieht die Spieluhr auf, hält den Gondoliere fest und betrachtet die Bodenplatte, die sich dreht, während die Musik spielt. Entfernt sind die Sirenen eines Krankenwagens zu hören. Klobbe schüttelt den Kopf und lächelt, mein Vater nickt.
    Wo waren Sie damals? fragt Klobbe.
    Auf der Arbeit, sagt mein Vater.
    Grams hat gesagt …, sagt Klobbe.
    Was ist mit Grams? fragt mein Vater.
    Der ist tot, sagt Klobbe, hebt die Schultern und schweigt. Ein Wagen hält vor dem Haus. Mein Vater dreht sich um, sieht den roten Nissan vor dem Fenster, die Frau, die aussteigt und dann etwas aus dem Kofferraum holt.
    Meine Frau, sagt Klobbe: heut hat sie frei, morgen arbeitet sie den ganzen Tag.
    Mein Vater steht auf und geht durch den Flur und grußlos an der Frau vorbei, die gerade zur Haustür reinkommt; durch das Dorf und über die Bundesstraße und auf den Feldweg, der zurückführt nach Gefrieß. Der Mann mit der Kappe, der Bauer sein muss, rennt über einen Acker und klaubt Kartoffeln in einen Beutel. Er blickt sich um, als hätte er Angst, erwischt zu werden.
    Die Nacht verbringt mein Vater im Badezimmer. Er liegt auf den Fliesen vor der Wanne, während der Hund draußen winselt und am Stock der verschlossenen Tür kratzt. Hier schläft er ein und träumt nichts, erwacht am Morgen wie angeknipst aus Stille und Dunkelheit. In der Küche trinkt er Kaffee, während der verfilzte Hund sein letztes Hundefutter aus dem Napf frisst und ihn dabei von unten herauf ansieht mit einer Mischung aus Vorwurf und Wut und Demut, aus der Angst geboren, er müsse wieder einen ganzen Tag und eine ganze Nacht auf sein Fressen warten. Mein Vater bindet dem Hund ein Seil um den Hals, das er im Schuppen gefunden hat, und nimmt ihn mit. Er kann ihn kaum halten und muss ihn treten, zieht er zu stark. Er braucht lange nach Rottensol. Er lässt den Hund laufen, nach einer halben Stunde bricht er vor ihm aus dem Unterholz und geht neben ihm her.
    Ob er eine Weile auf seinen Hund aufpassen könne, fragt er den alten Bauern mit der Kappe, der wieder auf dem Hof steht und jeden grüßt, der vorbeikommt.
    Warum nicht, sagt der Bauer und nimmt meinem Vater das Seil aus der Hand.
    Der Hund will meinem Vater folgen, der Bauer hält ihn fest, flüstert ihm etwas zu, streichelt ihm über den Kopf. Als sich mein Vater an der
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