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Wo wir uns finden

Wo wir uns finden

Titel: Wo wir uns finden
Autoren: Patrick Findeis
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Anarchisten-As, Schwänze, Titten.
    Kommen Sie zum Haus, sagte sie: ich treff Sie da.
    Ein schwarzer SUV stand vor der Tür, als ich ankam. Sie wartete im Inneren des Wagens, stieg aus, nachdem ich geparkt hatte und auf sie zugegangen war. Wortlos gab sie mir die Hand und schloss die Haustür auf. Im Inneren stank es nach Ammoniak.
    Ich habe es ersteigert mit meinem Erbe, sagte sie im Flur stehend: es wollte auch sonst keiner haben. Ihr Vater hat alles verkauft, weggeschmissen, verschenkt vor der Versteigerung – eine Matratze hat er behalten, auf der hat er geschlafen, sagte sie und zeigte nach oben, wo sein Schlafzimmer gewesen war.
    Ich hab davon nichts mitbekommen, sagte sie: er hat mich irgendwann nicht mehr ins Haus gelassen.
    Waren Sie …? fragte ich.
    Er hat für mich und meinen Mann gearbeitet, sagte sie und ging durch den Flur und in die Küche. Ich folgte ihr. Sie brannte sich eine Zigarette an und lehnte sich neben das Fenster an die Wand. Sie betrachtete mich und sagte: Ähnlich sehen tun Sie ihm nicht gerade.
    Ich hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. Sie griff in ihre Handtasche und warf einen Schlüsselbund quer durch den Raum zu mir: Wenn ich einen Käufer gefunden hab, müssen Sie raus.
    Ich komm mehr nach meiner Mutter, sagte ich.
    Ich hab Josef nach Rottensol rausgefahren, sagte sie: vielleicht einen Monat, bevor er verschwunden ist, vor einem Haus sollte ich halten. Drinnen trat jemand ans Wohnzimmerfenster und schaute raus, als habe er uns erwartet. Man konnte den Mann hinter der spiegelnden Scheibe kaum erkennen, Josef fluchte leise, die Stirn an die Scheibe der Beifahrertür gedrückt, seine Hände zu Fäusten geballt. Wer das ist, hab ich ihn gefragt, und er hat geschwiegen. Ich bin losgefahren, weil es mir zu dumm geworden ist, wenn er nicht antwortet. Dass er morgen wiederkomme, hat Josef geflüstert, und übermorgen und überübermorgen.
    Es ist längst dunkel, reißt mein Vater die Haustür auf. Die Nacht ist geräuschlos, als warte sie nur darauf, dass er komme, um sie aufzufüllen mit seinen Flüchen und Verwünschungen, die widerhallen in den Rohbauten der Neubausiedlung. Er hat die Tür hinter sich zugeworfen, denkt nicht mehr daran, sie abzusperren. Es gibt nichts zu holen in seinem Haus. Er wäre froh, klaute jemand etwas, fackelte irgendeiner die Bude ab. Er hat keinen Spazierstock mehr, und doch macht sein Arm eine Bewegung bei jedem Schritt, als benutze er ihn, um sich gegen das Fallen zu stützen. Nach Rottensol ist es weit. Er tritt von der Straße auf den in der Dunkelheit kaum erkennbaren Feldweg. Er hat keine Angst hier draußen. Er glaubt nicht an Geister. Er glaubt an Nagetiere, an Füchse, Wildschweine. Kurz leuchten die Embleme der Schnellrestaurants hinten an der Zubringerstraße zwischen den Bäumen auf. Ach, Siggi, denkt er nicht mehr und löst sich auf in der Landschaft.
    Vereinzelt brennen Lichter hinter den Fenstern der schmalen Häuser am Dorfeingang, gegenüber der Hof ist unbeleuchtet, eine Katze streicht um die Ecke und bleibt stehen, sieht meinem Vater hinterher, der den Weg nimmt, der zu Klobbes Haus führt. Er betrachtet das Gebäude, vor der Schwärze des Friedhofs ist er fast unsichtbar – er trägt ein blaues Hemd, eine dunkelblaue Hose –, er muss seinen Husten unterdrücken, bevor er über den Fahrweg läuft und sich hinter den roten Nissan kniet, der in der Einfahrt steht. Er atmet schwer, die Rollläden vor den Fenstern im Erdgeschoss sind heruntergelassen, ein Dachfenster ist leicht geöffnet. Er hält den Atem an, aber kann nichts hören, keine Stimmen, keinen Fernseher, kein Kind, das schreit. Mit einem Nagel, den er auf dem Boden gefunden und aufgehoben hat, beginnt er, Lack vom Kotflügel des Wagens zu kratzen, an möglichst versteckten Stellen entfernt er die Farbe, bis silbern die Karosserie im Laternenlicht durchschimmert – wie im Zeitraffer sieht er vor sich, wie der Rost aufblüht, sich verbindet, bis der Kotflügel nicht mehr zu retten ist und ausgetauscht werden muss. Was so ein Kotflügel mit Montage koste bei einem Japaner, fragt er sich und stellt sich vor, wie er in den folgenden Nächten zurückkehrt und mit der Spitze des Nagels feine Linien in die Lackierung zieht, sichtbar erst, wenn der Rost sich unter die Farbe gefressen hat. Dass er dazu keine Zeit hat, denkt er, streicht mit den Fingerspitzen über den Wagen, die Lücke zwischen Kotflügel und Fahrertür, die abgesetzte Leiste, mit Reflektorfolie beklebt. Er ist
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