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Wo wir uns finden

Wo wir uns finden

Titel: Wo wir uns finden
Autoren: Patrick Findeis
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mich zum Flugzeug begleitete.
    Have a nice trip home, rief mir der Beamte hinterher mit einer Freundlichkeit, als meine er es wirklich ernst.
    Ich glaubte, kurz nach dem Start das Gebäude zu erkennen, in dem unser Apartment lag. Die Teerpappe auf dem Dach, die schon am Morgen in der kalifornischen Hitze weich und schmierig wurde – Maria stand dort, ein Glas Champagner in der Hand, ihr Haus in Santa Monica oder Venice Beach im Blick.
    Am Flughafen in Dublin wartete ich vergebens auf meinen Koffer. Mein Flug verschwand von dem Monitor über dem Band der Gepäckausgabe. Vielleicht habe es Probleme gegeben beim Anschlussflug, sagte der Mann am Schalter des »Lost and Found« und lächelte.
    Marias Freund verlangte mehr Geld, bevor er mir erlaubte, mein Auto vom Hof zu fahren. Es war ihm egal, dass es Dollarnoten waren, die ich ihm in die Handfläche zählte. Er hatte hier Mehrfamilienhäuser bauen wollen, das Grundstück lag immer noch brach. Zwei Pferde fraßen mit gesenkten Köpfen, vorsichtig setzten sie die Hufe, ungelenk, als gingen sie auf Stöckelschuhen. Mein Wagen war nicht mehr versichert, TÜV hatte er noch zwei Monate. Im Handschuhfach eine halb volle Tüte mit Eisbonbons, die ich für Maria gekauft hatte, weil ihr immer schlecht wurde im Auto, fuhr sie nicht selbst. Das Mindesthaltbarkeitsdatum war abgelaufen.
    Ich heftete einen Zettel, auf den ich »links fahren« geschrieben hatte, an mein Lenkrad und fuhr vom Hof.
    Die Matrosen der Autofähren streikten, die Iren wollten mehr Geld und wurden später ersetzt durch Griechen.
    That’s globalization, sagte ein Mann, der mit mir anstand um Tee und Sandwiches in dem kleinen Café im Terminal von Rosslare. Die Schlange bewegte sich nicht. Ich hörte eine Familie hinter mir, die Angst hatte, dass es nichts mehr zu essen gebe. It’s a shame, sagte der Mann, weil die jungen Leute bald wieder auswandern müssten. Wir rückten einen Schritt vor, viele der Glasvitrinen waren bereits leer. Ich komme zu spät, ich wusste es, hätte ich meinen Wagen auf dem Hof gelassen und hätte ich einen Anschlussflug genommen, ich wäre trotzdem nicht rechtzeitig zu meinem Vater gekommen. Ich versuchte, auf der Rückbank meines Wagens zu schlafen, bis die Fähren den Betrieb wieder aufnahmen. Hinter mir stauten sich die Autos, Busse und Lkw bis zum Motorway. Der Nachrichtensprecher sagte, dass versucht werde, von den Streikenden eine Fähre für die Lkw mit den verderblichen Waren zu bekommen, und ich fragte mich, was die Iren an verderblicher Ware exportierten außer Exilanten. Nach zwei Tagen rollten Busse mit Streikbrechern auf das Hafengelände. Bald begann sich die Wagenreihe in Bewegung zu setzen.
    Die belgischen Autobahnen in der Nacht, eine Fahrt wie unter unablässigem gelbem Regen. Die vierundzwanzigstündige Straßenbeleuchtung, eine einzige Stromverschwendung. Es war eine Schande.
    In Gefrieß hatte sich nichts verändert: die kurze Fußgängerzone und in den Schaufenstern Schilder mit Prozentzeichen, ein paar Jugendliche rauchten auf dem Rathausplatz oder liefen hinter Mädchen her und schienen wirklich zu denken, es sei nur ein Spiel.
    Ich sah das »Zu verkaufen«-Schild hinter der schmierigen Fensterscheibe des Wohnzimmers meines Vaters und klingelte. Der Ton verhallte im Inneren des Hauses, und ich hoffte noch, als ich den Knopf ein zweites Mal drückte; beim dritten Mal läutete ich nur noch wegen des Widerstands des Klingelknopfes, der sich verkantete und in der Einfassung stecken blieb. Ich will drinnen sein, wenn es klingelt. Wie klingt die Glocke? Mit den Händen schirmte ich meine Augen ab, um durchs Fenster ins Haus sehen zu können. Auf dem nackten Fußboden braune Klümpchen, die aussahen wie Mäuseköttel. Sonst nichts. Nur meine Erinnerungen, mit denen ich das Haus einrichtete und für einen andauernden Moment ein Leben wieder aufnahm und es nicht mehr verlor. Ich wusste, dass mich die Nachbarn beobachteten, längst hatten sie mich erkannt. Aber keiner trat vor seine Tür. Als Kind lehrte mich mein Vater, dass ich immer Bitte und Danke zu sagen habe: Das sind die Worte der Engel – Amen gehört auch dazu. Die Nachbarn lächelten. Wir hatten keine Verwandtschaft, mein Vater keine Freunde. Ich erinnerte mich an die Stille der Wochenenden, wenn wir beide zu Hause waren und er mir stundenlang beim Spielen zusehen konnte und ich irgendwann nicht mehr wusste, ob ich für ihn spielte oder für mich. Die Küchenuhr tickte, ich wollte schreien und weglaufen,
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