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Wo wir uns finden

Wo wir uns finden

Titel: Wo wir uns finden
Autoren: Patrick Findeis
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Treppenhaus zu. Der Kleine fasste meine Hand, nachdem wir durch die Brandtür getreten waren. Ich sah auf ihn hinab, er wich meinem Blick aus und biss sich auf die Unterlippe.
    I’m no good at steps, sagte er.
    Don’t you do sports? fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf.
    Not even in school? fragte ich.
    I’m not going to school, sagte er: my mom is teaching me at home, sagte er, und wir nahmen die erste Stufe, seine Hand in meiner, feucht und warm wie mit Spucke angemischtes Brausepulver.
    My balance is no good, sagte er: because of my ears, und zeigte mit der freien Hand auf sein Ohr. Er hob die Schultern, als wolle er sagen, dass das schon okay sei, dass es Schlimmeres gebe.
    Wir stiegen weiter abwärts. In jedem Stockwerk war die jeweilige Zahl groß an die Wand gemalt. Es roch sauber, frisch geputzt.
    Do you live in the hotel? fragte ich.
    We live wherever my dad works, sagte er: he want’s us to be with him – we’re leaving for the north-east in two days, sagte er, und wir machten einem der Veteranen Platz, der uns gebückt, sich am Geländer festhaltend, entgegenkam.
    That’s good, sagte ich.
    I don’t like Los Angeles, sagte er: it’s too dangerous for me outside on my own, sagte er: my dad says so.
    He’s right, sagte ich.
    He loves me, sagte er und hob wie vorhin gleichgültig die Schultern. Im Foyer lief er zum Getränkeautomaten. Auf dem untersten Treppenabsatz hatte er sofort meine Hand losgelassen. Ich spürte sie noch eine Weile, wie man einen Hut spürt, obwohl man ihn bereits abgesetzt hat. Er machte das Victory-Zeichen, ich salutierte, und bevor ich aus dem Hotel trat, drehte ich mich um und fragte: What’s your name?
    Joseph, sagte der Junge: Joseph junior.
    Geht man die 3rd Street Richtung Osten, wird sie zur 4th Street, nachdem sie die Alameda Street gekreuzt hat. Hier war man schnell der einzige Weiße zwischen den Betonbauten mit blinden Fenstern, den umzäunten Brachflächen, dem Verkehr, der immer überall begann und nirgends endete. An die Fassaden gesprüht waren die Porträts von jungen Schwarzen und Latinos mit Geburts- und Todesdatum, sie waren jünger gestorben, als ich heute war, heldenhaft, hatte es den Anschein. Es war gut, dass Joseph nicht alleine auf die Straße durfte. Auf der Brücke, die über die zahllosen Bahngleise und den Los Angeles River führte, blieb ich stehen. Ich spuckte in das Rinnsal in seinem schnurgeraden zementierten Bett, das zehnmal so breit war wie der Fluss selbst, als müsse man befürchten, ein verirrter Neptun besäße die Macht, diesem Wasser wieder Leben zu geben. Ein Wagen hupte. In der Entfernung nahm ein Zug Gestalt an, tauchte unter der mächtigen Santa Ana Intersection hindurch, das Schlagen der Gleise – wie die Trommeln von unsichtbaren Eingeborenen in der Nacht – löste sich aus den heillosen Geräuschen der Stadt und wurde lauter mit der schier einschläfernden Langsamkeit der Wagenreihe, die noch bis zum Horizont reichte, als die beiden Zugmaschinen an der Spitze des Zuges bereits wieder außer Sicht waren.
    Maria hatte mir gesagt: So kannst du deine Spuren verwischen.
    Wir hatten am Terminal in München gestanden, aus dem Notizbuch in ihrer Hand ragten ihre Boarding Cards, MUC – LHR , konnte ich lesen, und LHR – LAX .
    Warum sollte ich? hatte ich gefragt.
    Damit die Bank dich nicht findet? hatte sie gesagt und mir die Adresse eines Freundes außerhalb Dublins gegeben: Wir fangen ganz von vorn an, hatte sie gesagt und geschwiegen: nur wir zwei, ohne den ganzen Mist hier.
    Wir schaffen das schon, hatte ich gesagt.
    Es wird so schon schwer genug, hatte sie gesagt: wenn du da auch noch mit Schulden ankommst.
    Zusammen mit der Adresse hatte sie mir die Route notiert, in Cherbourg sollte ich die Fähre nach Rosslare nehmen. Zwei Tage war ich unterwegs, dann hatte ich meinen Wagen auf das Grundstück und in die Scheune gefahren, die Nummernschilder abgeschraubt und in den Kofferraum gelegt und die Plane darübergeschlagen, die mir Marias Freund gegeben hatte – der mich zum Flughafen brachte, von wo ich über London nach Los Angeles flog. Ich hatte ihm Geld gegeben, meinen Wagen für fünf Jahre zu verstecken. Maria hatte davon nichts gewusst, sie hatte gedacht, ihr Freund schlachte den Wagen aus, sobald ich abgeflogen sei.
    Auch von meinem zweiten, offenen Rückflugticket hatte ich ihr nichts gesagt. Der Rückflug, den ich für die Zollbehörde gebraucht hatte, damit sie glaubten, ich verlasse das Land nach drei Monaten, war
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