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Wo wir uns finden

Wo wir uns finden

Titel: Wo wir uns finden
Autoren: Patrick Findeis
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verteilt er Hobelspäne um den Stamm und stellt sich vor, wie der Strauch im kommenden Frühjahr zu blühen beginnen wird, das Gelb der Blüten, das Summen der Bienen in der Stille des Frühsommervormittags.
    Es gibt nichts mehr zu tun.
    Er weiß wahrscheinlich, dass Theresa ihn beobachtet, wie er seinen Rucksack aus dem Schuppen holt; und bestimmt ahnt er, dass sie sich wundern wird, dass er sein Fotoalbum herausnimmt und lange das Foto auf der ersten Seite betrachtet, das ihn und meine Mutter zeigt, wie sie an seinen weißen Alfa Romeo gelehnt stehen, im Hintergrund liegt das Eselsburger Tal mit den weit aufragenden Steinernen Jungfrauen im Sonnenschein eines Sommertages, meine Mutter ist noch nicht schwanger; vielleicht ist es ihm egal, dass Theresas letzte Erinnerung an ihn die eines alten Mannes sein wird, der gebeugt in ein kunstledernes Fotoalbum starrt, während sich am Horizont der Himmel verfinstert und der Wind auffrischt.
    In der Dunkelheit stehe ich am Fenster im Schlafzimmer meines Vaters. Durch die verschmierte Scheibe beobachte ich den Transporter, der am Straßenrand hält, und den Fahrer, der aussteigt und zu Paketen verschnürte Zeitungen vor dem Haus gegenüber ablädt. Der Diesel tuckert in der Stille des Morgens, der Fahrer schlägt die Tür des Transporters zu und fährt davon. Kurze Zeit später tritt der Nachbar nach draußen, er sieht sich um, als habe er etwas zu verbergen, und holt die Zeitungen nach drinnen. Er atmet tief ein und aus, bevor er die Tür schließt. Nicht lange, und er verlässt das Haus, einen Einkaufstrolley hinter sich herziehend. Die Räder des Trolleys quietschen, das immer wieder unterbrochene Geräusch entfernt sich, aber bleibt lange hörbar in der Stille des Morgens. Im Schein der Straßenlaterne betrachte ich den vergilbten Zeitungsausschnitt, der zwischen Matratze und Wand gesteckt hatte:
    Ihre Verlobung geben bekannt
Josef Sigfried Dix
und
Anna Maria Theresa Oschatz In Liebe
    Viel weiter sind sie nicht gekommen, denke ich und gehe aus dem Zimmer und in der Dunkelheit die Treppen hinab, das Licht der Straßenlaterne reicht nicht bis ins Innere des Hauses.
     
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