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Wo wir uns finden

Wo wir uns finden

Titel: Wo wir uns finden
Autoren: Patrick Findeis
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längst verstrichen. Wir waren zum Zeitpunkt meines Rückfluges auf das Flachdach des Hauses gestiegen mit einer Flasche Champagner und hatten den Maschinen zugeprostet, die in Richtung Ostküste abhoben, sie hatten bereits so weit an Höhe gewonnen, dass wir nicht mehr erkennen konnten, zu welcher Airline sie gehörten. Wir wussten aber, wir würden das richtige Flugzeug verabschieden, in dem der für mich reservierte Platz frei blieb.
    Deinen Nebenmann freut es bestimmt, hatte Maria gesagt, der kann sich jetzt ausstrecken.
    Ich hatte genickt und mir das Dröhnen vorgestellt in der Kabine, vermischt mit dem Flüstern und Lachen der Fluggäste, das Flackern der winzigen Bildschirme, das gedämpfte Licht, die Zeitlosigkeit des Reisens, eingeschlossen in einer rasenden Kapsel über dem Meer, in der sich mein leerer Sitz immer weiter von mir entfernte. Ich hatte Maria angesehen, und sie hatte gesagt: Jetzt sind wir untrennbar.
    Und ich hatte genickt.
    »Jesucristo es el Señor«, stand in geschwungenen Lettern auf der Leuchtreklame der Iglesia de la Fe auf dem Broadway geschrieben. Das Gebäude der Kirche sah aus wie ein altes Kino. Hier wirkte nichts heilig. Der falsche Stuck, die weiten, geschwungenen Treppen zur Empore und zur Orgel, die wahrscheinlich Stummfilme begleitet hatte und jetzt die Messen, die hier abgehalten wurden. Ich suchte einen Beichtstuhl und fand keinen. Von einem der Eingänge blickte ich in einen ehemaligen Kinosaal, auf dessen Rampe ein Altar stand, das Kruzifix hing dort, wo früher die Leinwand gewesen sein musste. Ich tippte die Fingerspitzen in Weihwasser und bekreuzigte mich. Durch Oberlichter drang gedämpftes Licht in die Lobby. Das würde Maria gefallen hier, dachte ich und fragte eine alte Frau nach den Beichtstühlen, sie hob die Schultern und sagte: No entiendo, no habla inglés.
    Ich verließ die Kirche, und Joseph stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite vor einem Geschäft, das damit warb, nichts zu verkaufen, was teurer war als fünfundzwanzig Dollar. Er trug neue gelbe Cowboystiefel aus Kunststoff – der wie Leder aussehen sollte – und die er von allen Seiten zu betrachten versuchte. Sein Vater kam aus dem Geschäft und schlug ihm auf die Schulter und hielt beide Daumen hoch. Joseph lachte und folgte ihm. Als habe er in die Hose gemacht, schritt er breitbeinig neben seinem Vater her, zu dem er immer wieder aufblickte, versuchte er nicht gerade, seine Spiegelung in einem Schaufenster auszumachen. Ich sah die beiden vor mir, wie sie in ein paar Tagen gemeinsam ausreiten würden auf den grünen Hügeln im Norden Kaliforniens, einen Zaun zu reparieren oder eine entlaufene Kuh einzufangen; sein Husten wäre geheilt in der guten Luft, er ginge allein nach draußen, um zu spielen, wann es ihm passte. Joseph aber blieb stehen auf dem bevölkerten Gehweg des Broadway und krümmte sich in einem Hustenanfall, während er sich am Arm seines Vaters festhielt. Aus den Ladenzeilen brüllte mexikanische Popmusik, Busse röhrten den Rinnstein entlang, die Indio-Mädchen vor den Schmuckläden riefen: Pretty! Pretty! Necklace! Ring! Pretty! Pretty!
    Bei der Kontrolle der Pässe und Boarding Cards hatte die dicke schwarze Frau hinter dem Schalter in ein Walkie-Talkie gesprochen und mich gebeten, Platz für die nachfolgenden Passagiere zu machen und zu warten: Sir, your visa is overdue, hatte sie gesagt: someone of Homeland Security will want to talk to you.
    Der Beamte in ihrem Rücken war wie zufällig neben mich getreten und hatte mich nicht aus den Augen gelassen, bis sein Kollege vom Heimatschutz mich abführte. Er brachte mich in einen fensterlosen Raum mit einem Tisch, zwei Stühlen und einem großen Spiegel an der Wand. Was ich in den USA gemacht hätte, fragte er mich, warum ich für über ein Jahr in den Staaten geblieben sei, obwohl ich nach drei Monaten hätte ausreisen müssen. Was ich ihm erzählte, schien er schon tausendmal gehört zu haben.
    Sie würden mich zehn Jahre nicht einreisen lassen in die USA , sagte er: nach Ablauf dieser Frist müsse ich mich neu bewerben für ein Visum, und selbst dann könne ich nicht sicher sein, dass sie mich hineinließen. Der Beamte vom Heimatschutz sagte das mit einer Miene, als könne er sich nichts Traurigeres vorstellen.
    And if I have a child that’s an American? fragte ich.
    That don’t matter, antwortete er: it’s sad for you, but it don’t matter for us.
    Er brachte mich zum Terminal, wo eine Stewardess auf mich wartete und
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