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Geschichte des Gens

Geschichte des Gens

Titel: Geschichte des Gens
Autoren: Ernst Peter Fischer
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GRUNDRISS
EIN HÜBSCHES WORT
    Wer die Geschichte des Gens schreiben will, sollte gleich zu Beginn genau angeben, welche Geschichte er damit meint. Das Gen in den Zellen trägt die Geschichte mit sich herum, die wir als Evolution kennen und die zuletzt auch uns hervorgebracht hat. Das Gen als Konzept der Wissenschaften unterliegt der Geschichte, in deren Verlauf die moderne und sich vornehmlich molekular orientierende Wissenschaft vom Leben entstanden ist. Der mit ihrer Hilfe gelingende Blick auf die Gene hat noch nicht die Grenze seiner Auflösung erreicht und entdeckt immer neue Möglichkeiten des Einteilens und Eingreifens.
    Thema dieses Buches sind vor allem die historisch sich wandelnden Einsichten in die Faktoren der Vererbung und die dabei zustande kommenden Ansichten über die Erbelemente. Sie sind zwar zum ersten Mal im 19. Jahrhundert in den Blick der Naturwissenschaft gekommen - in dem berühmten Klostergarten in Brunn, in dem Gregor Mendel (1822-1884) Erbsen gekreuzt und ihre sichtbaren Eigenschaften statistisch ausgewertet hat -, den heute so populären Namen »Gene« haben sie aber erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts bekommen.
    Das ebenso beliebte wie hübsche kleine Wort geht auf den dänischen Botaniker Wilhelm Johannsen (1857-1927) zurück. Er orientierte sich am griechischen Begriff genos für Geschlecht und wollte mit seinem »Gen« die Objekte charakterisieren, mit denen sich die Wissenschaft von der Vererbung beschäftigen sollte, die bereits drei Jahre zuvor - nämlich 1906 - ihren bis heute verwendeten Namen »Genetik« bekommen hatte. Dieser Ausdruck war von dem Briten William Bateson (1861-1926) nach dem griechischen Vorbild genetikos - das Hervorgebrachte - gebildet worden, was an dieser Stelle einen ersten Hinweis darauf erlaubt, wie wenig gradlinig es in der Wissenschaftsgeschichte oft zugeht. Es ist nämlich nicht so, dass Wissenschaftler erst Gene entdecken, dann eine dazugehörige Disziplin namens Genetik etablieren und anschließend nach Eigenschaften suchen, denen man das Attribut »genetisch« beimessen kann. Tatsächlich ist die Entwicklung genau umgekehrt verlaufen. Ohne an Gene zu denken, haben Menschen genetische Erscheinungen bemerkt und erkundet - etwa die Gestaltbildungen der Lebensformen, die das Auge erkennen kann und die sich unter der Bezeichnung Morphogenese erforschen lassen. Und schon am Ende des 18. Jahrhunderts ist »die Notwendigkeit der genetischen Methode für alle Naturwissenschaft« gefordert worden, nämlich von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), der sich im Anschluss an seine Italienische Reise - ab 1795 -für die Metamorphose der Pflanzen interessierte und dabei Fragen nach einem universalen Bauplan formulierte, wie sie die moderne Vererbungsforschung seit einigen Jahren wieder intensiv beschäftigt und wie am Ende des Grundrisses zur Sprache kommen wird.
    »Genetisch« meint insofern mehr als »von Genen bedingt« zu sein, und das Attribut hat folglich eine andere Geschichte als das Substantiv »Gen«. Dabei ist nicht auszuschließen, dass beide Entwicklungslinien wieder aufeinander zulaufen, wenn wir ihnen von den genannten Anfängen bis zur Gegenwart folgen, in der eine moderne Molekulargenetik bekanntlich mit Hilfe der Gentechnik Erbmoleküle erst aus Gewebe herausfischen, dann im Reagenzglas zerlegen, anschließend neu zusammensetzen (Rekombination) und sie zuletzt erneut in Zellen einfügen kann, wo sie offenbar wieder ihre Funktion erfüllen. Diese Technologie, mit der seit einigen Jahrzehnten die politische Öffentlichkeit aus ihrem wissenschaftlichen Dornröschenschlaf geweckt wurde, sei bereits hier genannt, weil es mit ihrer Hilfe möglich wird, neben den beiden bereits erwähnten Geschichten des Gens noch eine dritte zu erzählen, die davon berichten könnte, wie ein Gen in einen Organismus und seine Zellen gekommen ist. Bislang sind Gene auf natürlichem Wege durch Vermehrungen und Zellteilungen an den Ort gelangt, an dem sie die moderne Forschung heute findet. In Zukunft werden sich mit technischer Hilfe neue Möglichkeiten öffnen, Gene zu platzieren. Längst finden sich Gene aus menschlichen Bauchspeicheldrüsenzellen in Bakterien und Gene aus Mäusen in Fliegen, um nur einige Beispiele zu nennen. Aus ihnen kann man vor allem lernen, dass es tatsächlich Sinn macht, von Genen allgemein zu sprechen, und es nicht immer nötig ist, den Organismus zu nennen, aus dessen Zellen sie stammen.
Erste exakte Erblichkeitslehren
    Als Wilhelm Johannsen
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