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Wo wir uns finden

Wo wir uns finden

Titel: Wo wir uns finden
Autoren: Patrick Findeis
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die Lautstärke höher und bat Grams, ihm endlich zu sagen, wo er hinfahren solle. An einer roten Ampel öffnete Grams die Tür und sagte: Park den Wagen irgendwo und fahr nach Haus zu deiner Familie.
    Grams stieg aus, und die Ampel sprang auf Grün, und Karl legte den ersten Gang ein. Er parkte den Wagen im Halteverbot, er suchte nicht nach Grams, er nahm den nächsten Zug und fuhr nach Hause.
    Klobbe gießt sich frischen Tee ein und sagt: An Bauchspeicheldrüsenkrebs ist er gestorben. In Aar haben sie ihn begraben – da liegt er jetzt. Im Taunus.
    Mein Vater sagt: Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei.
    Klobbe hebt die Schultern und lässt sie wieder fallen: Jetzt würde ich gern eine rauchen, sagt er und lächelt, wobei ihm die Augen zufallen wie einem Kind, das aufbleiben darf für einen Film im Fernsehen und schon beim Vorspann gegen den Schlaf kämpft.
    Klobbe sagt: Seine kleine Schwester, eine von den Zwillingen, ist bei der Commerzbank hier. Sie hat uns einen Kredit gegeben für ein neues Auto, trotz allem – bestellt haben wir’s schon, sagt er und sieht zur Decke: in einem schönen Nachtblau.
    Er lächelt.
    Ich lass dich besser alleine, sagt mein Vater und steht auf. Er reicht Klobbe die Hand, der sie nimmt und schüttelt.
    Mein Vater sucht seinen Hund und findet ihn nicht, klopft an die Tür des Bauernhauses, sieht durch ein Fenster in die niedrige Stube, geht nach hinten, wo früher Ställe gestanden haben müssen und der Bauer jetzt seinen Müll verbrennt. Aus einem stinkenden Haufen verbrannten Unrats steigt eine schmale Rauchsäule und verliert sich, er meint, die verkohlten Körper kleiner Katzen auszumachen darin. Er denkt an die Haltung seines Hundes, wie er den Kopf in den Nacken gelegt hat, seine Augen schwarz wie Seen aus Öl, unendlich in ihrer Verzweiflung. Da haben sich zwei gefunden, denkt er noch, als er über die Bundesstraße und auf den Feldweg tritt.
    Die Kaffeemaschine steht auf dem Boden in der Küche und spuckt heißes Wasser in den Filter; er besitzt nur noch eine einzige Tasse, die er im Bad oben spült. Seine Schritte hallen in den leeren Räumen, seine Stimme antwortet sich selbst, führt er Selbstgespräche; aber die meiste Zeit ist er ruhig, er geht durch das Haus, er denkt nur wenig, manchmal muss er lachen, weil er sich erinnert, wie ich ihn als Kleinkind ansah, putzte er sich die Zähne oder trocknete er das Besteck ab: als könne die Lage nicht ernst genug eingeschätzt werden. Es ist noch dunkel. Er hat die Wärme des Hundes vermisst, sein Atmen in der Leblosigkeit der Nacht, die wie ein uferloser Schrecken über ihm lag. Er trinkt Kaffee und wartet, bis es zu dämmern beginnt. Er tritt vor das Haus, lächelt, klopft mit der Faust gegen das Mauerwerk und sagt sich, dass es gut ist, und schließt die Tür hinter sich.
    Langsam geht er die Straße hinab.
    Wir haben ein paar Dinge, die winterfest zu machen sind, hat Theresa gesagt und ihm angeboten, ihn abzuholen.
    Ich geh gern zu Fuß, hat er gesagt.
    Aber ich kann Sie doch fahren, hat sie gesagt.
    Ich geh gern zu Fuß, hat er gesagt.
    Er wirft einen fauligen Apfel, sieht seinem Flug hinterher, das entfernte Geräusch seines Auftreffens auf der Erde lässt meinen Vater spüren, dass er am Leben ist. Laub, das schwer ist vom Regen der vergangenen Nacht, bedeckt den Boden. Mit dem Laubbläser hat mein Vater die schmierigen Blätter kaum bewegen können, mit einem Rechen scharrt er sie jetzt zu Haufen zusammen, die er im Schubkarren auf den Kompost bringt am hinteren Ende des Grundstücks. Der leicht faulige Geruch der Erde, die fast kahlen Äste im Gegenlicht, die motzende Krähe, die über den umgegrabenen Acker schwankt auf der Suche nach Fressbarem. Mein Vater fragt sich nichts mehr, wirft einen Stein nach der Krähe, ihre Flüche wirken verzweifelt menschlich. Mein Vater lacht. Die Krähe erinnert ihn an mich, wie ich als kleiner Junge aus Trotz und der Glut, die das Feuer des Unverständnisses entfacht hatte, durch das Haus stampfte und schimpfte in einer Sprache, die nur ich verstehen konnte, weil er mich zwang, mich auf das Töpfchen zu setzen, obwohl ich Angst davor hatte; die kleinen Fäuste in den Taschen meiner Trainingsjacke vergraben. Er lacht, während er zum Schuppen geht, wo er einen alten Leinensack zerreißt, mit dem er den Kübel des großen Oleanders neben der Veranda umwickelt. Die Pflanze kann er gerade so weit anheben, dass er ein paar Lagen eines alten Teppichs darunterschieben kann. Dann
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