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Odins Insel

Odins Insel

Titel: Odins Insel
Autoren: Janne Teller
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I Ginnungagap
    Zuerst war das Nichts
und das Nichts war ein Garnichts
ein Alles, wo nichts Chaos
und das Chaos nichts war
     
    Denn so kennen wir Ginnungagap
    E s war kalt an jenem Tag, an dem Odin in Smedieby eintraf. Die Erde war schneebedeckt, und die Sonne schien durch einen leichten Nebel hindurch. Links lief eine Gruppe Kinder Schlittschuh auf einem zugefrorenen See, und in einer Einzäunung gegenüber rieben drei langhaarige Pferde sich aneinander, um warm zu bleiben. Weiter den schmalen verschneiten Weg hinunter konnte er undeutlich eine kleine Ansammlung von Häusern mit Tangdächern erkennen, aus deren Schornsteinen Rauch aufstieg. Darüber hinaus gab es nichts als Felder, so weit das Auge reichte.
    Odin blickte auf seine beiden Pferde, die neben ihm standen. Aber vielleicht war stehen nicht das richtige Wort, denn während das eine sicher stand, das Gewicht gleichmäßig auf die vier kräftigen Beine verteilt, neigte das andere sich gefährlich nach links, um das rechte Vorderbein, das kraftlos in der Luft hing, nicht mit seinem Gewicht zu belasten. Es war ein trauriger Anblick, ein so kräftiges Pferd, das ein Bein gebrochen hatte und trübselig den Kopf hängen ließ. Odin seufzte tief; was sollte er tun? Noch einmal betrachtete er die Szenerie um sich herum, doch außer den Kindern war keine Menschenseele zu sehen.
    »Nun ja, jedenfalls besteht kein Zweifel daran, dass wir heute nicht mehr weiterkommen«, sagte er zu den Pferden und begann sie von dem kleinen grünen Schlitten abzuspannen. Ob Baltazar, der immer noch vier taugliche Beine hatte, den Schlitten wohl alleine ziehen konnte? Nicht, dass Odin Rigmarole zurücklassen wollte. Nein, davon konnte nicht die Rede sein, aber er war gezwungen, Hilfe zu holen. Odin löste das Schlittengeschirr und
befreite das hinkende Pferd. Doch wie sollte er jetzt vermeiden, dass Baltazar den Schlitten zu seiner Deichselseite hinzog, unmittelbar in den Graben hinunter? Odin wurde sich schnell darüber klar, dass er auf diese Weise nicht weit kommen würde.
    Genau in diesem Augenblick erblickten die Schlittschuh laufenden Kinder den Fremden, der so plötzlich mit seinen zwei Pferden und seinem Schlitten auf dem Weg stand, als wäre er aus der eisblauen Luft aufgetaucht. Einer nach dem anderen blieben die Schlittschuhläufer stehen, bis schließlich alle Kinder am Ufer des Sees versammelt waren, von wo aus sie neugierig den Mann betrachteten, den es an diesen Ort verschlagen hatte. Es waren zwölf Kinder im Alter von drei bis zehn Jahren. Anfangs starrten sie in vollkommenem Schweigen auf den ungewöhnlichen Anblick. Dann begannen sie wie auf ein heimliches Zeichen hin durcheinander zu reden.
    »Sein Pferd kippt gleich um«, sagte einer, der Einar hieß.
    »Wie lustig sie aussehen, die Pferde. Ich könnte wetten, dass sie mit ihren schweren Beinen nicht annähernd so schnell laufen können wie Rufus«, sagte ein anderer, der Lauge hieß.
    »Was ist, wenn er gefährlich ist?«, fragte ein kleiner Junge und begann zu weinen.
    »Ich habe noch nie einen Mann mit so einem langen Bart gesehen«, sagte ein Mädchen und trat ein paar Schritte zurück.
    »Und mit so einem merkwürdigen Mantel.«
    »Jedenfalls kommt er mit dem Pferd nirgendwohin, so viel ist sicher !«
    »Wo mag er wohl herkommen?«, murmelte ein Mädchen mit Namen Ida-Anna und kratzte sich nachdenklich hinter dem Ohr. Sie sah aus, als sei sie die Älteste, und wie um ihre Führungsrolle zu demonstrieren, richtete sie sich auf und erklärte mit fester Stimme: »Wir müssen etwas tun.«
    »Wir müssen etwas tun! «, echoten die anderen Kinder umgehend und sahen einander an, nicht ganz sicher, was das nun wäre. Dann richteten alle ihre Augen auf Ida-Anna, als erwarteten sie von ihr, dass sie über das Schicksal des Fremden und seiner beiden Pferde entschied.
    »Zwei von uns laufen nach Hause und holen Hilfe, zwei andere
gehen hin und sehen sich alles näher an, und der Rest wartet hier.«
    Ein unzufriedenes Murmeln erklang, doch keiner sagte etwas, und die Mehrzahl der Kinder nickte mit dem nötigen Ernst, den die Situation erforderte.
    »Gut«, fuhr Ida-Anna fort. »Lauge und Troels laufen nach Hause. Bittet den Schmied und Onkel Eskild sofort zu kommen. Ingolf, du kommst mit mir. Und Ejner, du bist für den Rest hier verantwortlich.« Äußerst zufrieden mit ihrer eigenen Entschlossenheit, nahm Ida-Anna ihren kleinen Bruder Ingolf an der Hand und ging ohne das kleinste Anzeichen von Bedenken auf den Fremden
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