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Wo wir uns finden

Wo wir uns finden

Titel: Wo wir uns finden
Autoren: Patrick Findeis
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müde, er will nach Hause. Wie viel Zeit ihm noch bleibe, fragt er sich und beobachtet die blinkenden Lichter eines Flugzeugs weit über ihm im Himmel. Wenn er sich ein Flugticket leisten könnte, wüsste er nicht, wohin, dass er vielleicht einfach hierbliebe, denkt er und steht auf und geht durch die unbelebten Straßen. Drei Häuser findet er in der Nacht, von denen er meint, dass sie leer stünden, kein Wagen vor der Garage, keine Gardinen in den Fenstern, die von der Witterung aufgeweichten Enden von Werbeprospekten ragen aus dem Briefkasten. Keines gefällt ihm, für keines könnte er die Miete bezahlen. Am Ortsrand eine heruntergekommene Neubausiedlung. Viele Klingelschilder sind unbeschriftet, die Treppenhäuser sind sauber, Satellitenschüsseln an jedem Balkon. Er schließt die Augen und sieht sich diese Nachbarn grüßen, ein Paket annehmen für sie am Vormittag und warten bis zum Abend auf das Klingeln an der Tür, wenn sie es abholen wollen – er könnte sie glauben lassen, er komme von weit her, er sei nicht er.
    In der Dunkelheit kommt eine Gestalt über die Felder gelaufen, schwarz hebt sie sich ab gegen den nachtblauen Himmel. Sie stolpert, aber fällt nicht, sie winkt. Die Gestalt ruft, beide Arme in die Luft erhoben, und mein Vater dreht sich weg und läuft zurück ins Dorf. Er hört keine Schritte hinter sich, aber fühlt sich verfolgt. Ein Hund schlägt an, ein Rollladen wird hochgezogen. Das Friedhofstor ist nicht abgeschlossen, er nimmt die fünf Stufen, um auf das erhöhte Gelände zu gelangen, und blickt zurück, wo das Dorf im Dämmerlicht liegt. Vereinzelt brennen ewige Lichter auf den Gräbern. Er geht langsam einen Kiesweg entlang, etwas flieht unter seinen Füßen, er erschrickt nicht, und von einer Bank aus betrachtet er Klobbes Haus, dessen Dachfenster das erste Licht des Tages spiegeln. Das Krähen eines Hahns bildet er sich vielleicht nur ein, während der Tag beginnt und der Nebel über den Feldern hinter der Bundesstraße sich langsam auflöst.
    Vieles hat er sich überlegt in den vergangenen Tagen, während eine Familie, eher ein Rudel, ein Clan, seine Küche abbaute – für die er zweihundert Euro verlangt hat – und der Vater oder das Oberhaupt den Preis noch drücken wollte, weil die Spülmaschine von Whirlpool war und nicht von Bosch oder Miele. Ein Zivi und ein Sozialarbeiter vom Jugendhaus schleppten seine Sitzgarnitur aus dem Haus und sahen ihn dabei an, als müsse er sich schämen für die alten Polstermöbel und dafür, dass er ihnen nicht half, den Plunder in den Transporter zu laden. Der Nachbar, dem er den Rasenmäher geschenkt hatte, fragte, ob er den Mäher nicht zurückhaben wolle, weil wegen seines ungemähten Rasens die ganzen Schnecken jetzt in seinen Garten kämen; mein Vater schüttelte den Kopf und ging nach drinnen, wo sich die hellen Flecken an den Wänden wie eine Pigmentstörung abzeichneten in allen Räumen und der Hund, der nie stubenrein geworden ist, keinen Teppich mehr findet, auf den er scheißen und pissen kann, und auf die blanken Dielen macht.
    Das Husten eines Mannes weckt meinen Vater, der auf der Friedhofsbank eingeschlafen ist. Der Mann sitzt neben ihm, hebt seine Mütze und streicht sich die Haare glatt. Die Sonne steht noch nicht hoch am Himmel, schräg fallen die Strahlen durch die Blätter der Buchen, die entlang der Wege stehen, die den Friedhof durchqueren.
    Wenn Sie zum Klobedanz wollen, sagt der Mann: der ist jetzt weg.
    Die Haut des Mannes ist grobporig und glänzt feucht vom Schweiß.
    Der wird zum Arzt sein, da ist er meistens den ganzen Tag weg, sagt er und lächelt.
    Warum sollte ich zum Klobedanz wollen? sagt mein Vater.
    Ich hab Sie gesehen letzte Nacht, sagt der Mann: ich schlaf schlecht und geh im Dorf rum.
    Kriegt der Klobedanz oft Besuch? fragt mein Vater.
    Der Mann schüttelt den Kopf.
    Von einem, der ungefähr gleich alt ist, sagt mein Vater: blond, kleiner, schmal?
    Der Mann schüttelt den Kopf: Der hat keine Freunde, sagt er, der ist auch in keinem Verein hier.
    Der Mann leckt seinen Zeigefinger an und streckt den Arm in die Luft. Ich muss rein, sagt er und steht auf: sie sollten jetzt auch nicht draußen sein, bei dem Ostwind.
    Mein Vater lässt den Hund in den Garten, als er zurückkommt aus Rottensol. Er hat die Leine verloren oder verschenkt und nimmt das Tier deswegen nicht mehr mit nach draußen, es gehorcht ihm nicht, springt Leute an oder verschwindet im Wald. Er tritt ihn manchmal, nie ohne Grund. Er hat
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