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Wo wir uns finden

Wo wir uns finden

Titel: Wo wir uns finden
Autoren: Patrick Findeis
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Ecke umdreht, sieht er den Hund neben dem Bauern sitzen, den Kopf in den Nacken gelegt, blickt er zu ihm auf – das verfilzte Fell des Tieres, der hinterhältige Blick des Bauern.
    Klobbe hat seine Haare zu einem Zopf gebunden, er trägt ein kariertes Hemd, Jeanshosen. Auf dem Wohnzimmertisch stehen Kekse, eine Kanne Tee auf einem Platzdeckchen, eine Zuckerdose, die Spieluhr ist verschwunden.
    Gehört das Haus dir? fragt mein Vater.
    Klobbe nickt. Meine Frau, sagt er und zeigt auf den gedeckten Tisch: hab ihr von Ihnen erzählt und dass Sie heute noch mal kommen.
    Mein Vater nickt und setzt sich. Klobbe schenkt ihm ein, aber er trinkt nicht. Er blickt sich im Zimmer um, ob er in einem der Regale oder der Vitrine die Spieluhr entdeckt. Klobbe atmet schwer, er sieht blasser aus als am Tag zuvor. Er sieht zum Fenster und wieder zurück zu meinem Vater: Der ist dann nicht mehr wie vorher gewesen.
    Grams schnitt sich die Haare und wechselte auf ein katholisches Internat in der Schweiz. Sie telefonierten nicht, schrieben sich nicht, aber er besuchte Karl am ersten Tag der Herbstferien. Er brachte Geschenke, die er wie Almosen verteilte unter Karls Familie, die sie mit Dankbarkeit annahm. Seine verzweifelte Herzlichkeit war befeuert von einer Wut, die ihm wie die Faust im Nacken saß und nur darauf wartete, dass er sich nach ihr umdrehte und sie ihn erschlagen konnte. Sie saßen im Keller, und Grams rauchte eine Selbstgedrehte, als hätte er niemals vorher eine Zigarette in der Hand gehalten.
    In Latein hab ich viel aufzuholen, sagte Grams.
    Dir helfen deine neuen Freunde doch bestimmt, sagte Karl.
    Ich versteh die kaum, sagte Grams.
    Sind wahrscheinlich ziemlich fromm alle, sagte Karl.
    Ich hab vorher nie ein Problem gehabt mit Latein, sagte Grams.
    Sie schwiegen, bis Grams aufstand und sich verabschiedete.
    Dann ging er und blieb weg, Karl rauchte noch zwei, drei Wochen die geschenkten Zigaretten; und mit dem letzten Stummel, den er zertrat, ließ er ihn gehen.
    Bis Grams Jahre später anrief und Karl bat, nach Zürich zu kommen und ihm zu helfen beim Umzug, er habe niemanden sonst. Wir zwei, sagte er: wir zwei.
    Karl hatte seinen Ehering in die Hosentasche gesteckt, sein Bargeld in den Socken, weil er schon viel gelesen hatte über Zürich und den Platzspitz, den Needlepark.
    Karl erkannte Grams zuerst nicht: Die wenigen Haare, die er noch auf dem Kopf hatte, hatten die gleiche blassgraue Farbe angenommen wie seine Haut, wodurch sie wie ein Flaum fast unsichtbar waren. Grams sah ihn lange aus wässrigen Augen an und schüttelte immer wieder den Kopf, als glaube er nicht, dass er wirklich gekommen war: Wir zwei, wir zwei, sagte er und drehte sich eine Zigarette und brannte sie an, schüttelte erneut den Kopf, während ihm der Rauch aus den Nasenlöchern floss.
    Sie stopften Müll in blaue Säcke und schleppten das wenige Unverkaufte aus der großen Wohnung in einen VW -Bus, den Grams geliehen habe, wie er sagte. Er rannte umher, schwitzte und hatte Angst vor der Polizei, die anscheinend auf dem Weg hierher war, weil der Vermieter, dem er etliche Monatsmieten schuldete, sie gerufen habe. Seine Schritte hallten in der leeren Wohnung, während er sich bei Karl immer wieder entschuldigte, dass er ihm nichts anbieten könne, er habe Pech gehabt in letzter Zeit, erst der Job weg, dann die Freundin. Aber die Polizei kam nicht, und sie stiegen in den zur Hälfte beladenen VW -Bus und fuhren davon.
    Kann ich mit zu dir? fragte Grams.
    Karl überlegte, was Susanne sagen würde, und wusste, sie würde nichts sagen, aber er wollte Grams nicht bei ihnen im Haus haben und sagte: Susanne ist schwanger – passiert gerade viel.
    Grams schwieg, bis die Ampel auf Grün sprang, dann legte er ihm die Hand in den Nacken und drückte zu und sagte: Glückwunsch!
    Karl ekelte sich vor der gichtigen Hand in seinem Nacken, zog die Schultern hoch und lächelte und fuhr los und wusste nicht, wohin: Kannst du zu deinen Eltern? fragte er.
    Grams betrachtete die Innenflächen seiner Hände, als hielte er eine Karte, die ihm verriet, wohin er konnte. Sie fuhren schweigend und ziellos durch Zürich. Karl blickte geradeaus, auf die vor ihnen fahrenden Autos, den Verkehr; am Rand seines Sichtfeldes nur nahm er Grams war und fragte sich, ob der wirklich gedacht habe, er könne mit zu ihm, ob er glaubte oder hoffte, es gebe immer noch den Kellerverschlag mit den Pornos unter der Matratze. Karl stellte das Autoradio an, verstand den Moderator nicht, drehte
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