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Der Gentleman

Der Gentleman

Titel: Der Gentleman
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Ja, der Frühling war an dieser ganzen Geschichte schuld, nur der Frühling, mit seinem Blütenrausch, der die Seele so weit macht und das Herz so sehnsuchtsvoll und die Wünsche so groß und die Gedanken so süß und – so dumm.
    Und auch Altenbach war daran schuld. Jawohl, Altenbach!
    Altenbach ist ein Städtchen, das den Ehrgeiz hat, eine Stadt zu sein. Aber wenn die Bürger auch mit noch so wichtiger Miene einherschreiten, wenn ein achtzig Mann starker Gesangverein auch einige außerordentliche zweite Bässe aufweist, wenn die Feuerwehr sogar drei Motorspritzen besitzt – es wird nie eine Stadt sein, sondern wird immer ein nettes, buntes, zwischen grünen Bergen liegendes Städtchen bleiben, so ein richtiges, behäbiges, gemütliches westfälisches Städtchen.
    Durch den Frühling und durch Altenbach also fing es an …
    Robert Sorant, 33 Jahre alt, nicht vorbestraft, groß, blond und blauäugig, im Paß als Schriftsteller ausgewiesen, hatte sich just dieses Städtchen zum Aufenthaltsort auserwählt, um dort in den weiten Tannenwäldern und saftigen Wiesen die Lunge vom Dunst der Großstadt zu reinigen und sie neu zu füllen mit dem Ozon einer noch halbwegs heilen Natur.
    Man hatte ihm gesagt, daß er dies dringend nötig habe. Müde fühlte er sich, schrecklich müde, dachte er an sein Haus in Köln, an die Gesellschaft, an Frack, tägliche Rasur, Verkehrslärm, überfüllte Fußgängerzonen. Da es in Altenbach laut Erzählung seiner Freunde auch noch Deutschlands saftigste Schinken geben sollte, hatte er sich kurzentschlossen in den Zug gesetzt und Köln, das ›heilige‹, das ihm vorübergehend gestohlen bleiben konnte, hinter sich gelassen. Das Auto blieb zu Hause stehen.
    Das war am Vormittag geschehen; am Nachmittag betrat er in Altenbach das Hotel ›Zur Post‹. Diesem lag eine telefonische Zimmerbestellung von ihm vor; man erwartete ihn also.
    Hotel ›Zur Post‹ …
    Gibt es in Deutschland eine Stadt, ein Städtchen, einen Flecken, der nicht ein Hotel, ein Gasthaus, eine Herberge oder zumindest Schenke ›Zur Post‹ besitzt? Diese Frage ist es wert, in die Kreuzworträtsel aufgenommen zu werden: Welche Stadt hat nicht …?
    Nun gut, Altenbach hatte!
    Robert Sorant bezog sein Zimmer, mit dem er zufrieden war. Vor allem wünschte er Ruhe. Die schien ihm gewährleistet zu sein, denn die beiden Fenster, über die das Zimmer verfügte, gingen auf keine Straße hinaus, sondern auf einen hübschen kleinen Platz, der für Fahrzeuge aller Art gesperrt war.
    Zwei Koffer waren rasch ausgepackt. Ein kleiner Test ergab, daß das Bett in Ordnung war: nicht zu hart und nicht zu weich. Der Spiegel im Bad hing hoch genug, er zwang einen bei der verdammten Rasiererei nicht dazu, sich zu bücken.
    Was noch? Wasserhahn tropfte keiner; die Kleiderbügel im Schrank reichten aus; die Rolle im eigenen Klo, das zum Zimmer gehörte, drohte auch noch nicht zur Neige zu gehen. Demnach alles okay.
    Robert Sorant fing an, ein Liedchen zu pfeifen, dessen Melodie ihm aber auf halber Strecke verlorenging, weshalb er noch einmal von vorne begann. Resultat: An der gleichen Stelle blieb er wieder stecken; er verschwand im Bad, duschte sich, schlüpfte in frische Wäsche und rüstete sich dazu, hinunterzugehen ins Restaurant, da die Abendessenszeit nicht mehr fern war.
    Draußen prangte, wie gesagt, der Frühling, ein richtiger herrlicher, blühender, seliger Frühling. Durch die offenen Fenster, die Robert geöffnet hatte, strömte der Duft der Blumen herein, Vögel zwitscherten, die alten Rentner auf ihren Parkbänken sahen den schlanken Mädchenbeinen nach, mancher überfällige Knabe stand vor dem Spiegel und bemühte sich, eine helle, auffällige Krawatte möglichst jugendlich zu binden. Brave Ehefrauen spielten mit Gedanken, von denen nur zu hoffen war, daß sie nicht in die Tat umgesetzt wurden; von ihren Männern war das gleiche zu sagen. Dr. Martin Velhorn erhoffte sich allerdings von beiden Lagern unverhohlen das Gegenteil. Er war Altenbachs sogenannter Scheidungsanwalt. Nach dem Karneval und Frühling pflegte seine Praxis in der Regel einen gewissen Aufschwung zu nehmen.
    Der Kellner, den Sorant fragte, was zu empfehlen sei, pries ein Gericht an, das mit Schnecken zu tun hatte. Wahrscheinlich wollte er damit Altenbach dem Gast aus Köln gleich ins rechte Licht rücken.
    »Und was ist mit Erbsensuppe?« fragte Sorant, auf die Speisekarte, die man ihm gebracht hatte, weisend.
    »Erbsensuppe?« erwiderte der Ober mit deutlich
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