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Die Sau und der Mörder

Die Sau und der Mörder

Titel: Die Sau und der Mörder
Autoren: Martin Springenberg/Michael Bresser
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    I hr Vater hat den Dackel totgeschlagen ?«
    »Ein Bauer
aus der Nachbarschaft hatte Welpen aus einem Wurf über. Da ich ihm oft nach der
Schule bei der Ernte geholfen habe, hat er mir Zorro geschenkt. Ein Blick in
die treuen braunen Hundeaugen, ein Streicheln über die zarten Rückenhärchen,
und ich war hin und weg. Stolz wie Oskar bin ich mit meinem neuen Freund nach
Hause gestromert. Unterwegs haben wir am Bach im lauen Sommerwind gespielt, na,
zum Stöckeapportieren war er noch ein bisschen zu jung, aber er sprang immer
freudig auf der Stelle und blickte sehnsuchtsvoll den Knüppeln in der Luft
hinterher. Kurz vor unserem Haus verlangsamten sich meine Schritte. Ein kalter
Schauer fuhr mir das Rückgrat hinunter, und ich fühlte mich wie gelähmt. Wie
würde mein unberechenbarer Vater reagieren ?«
    Dramaturgische
Pause. Ich ließ meinen Blick unstet über den abgeblätterten Wandputz im
Versammlungsraum gleiten, als wäre ich in Gedanken verloren. Dabei bewunderte
ich die dekorativen Poster, auf denen Ghettokids demonstrativ ihre Zeigefinger
auf den Betrachter richteten. In Sprechblasen verkündigten sie »Keine Macht den
Drogen«, »Gewalt macht schlapp« und »Schule ist endgeil«. Diese Kampagne des
Familienministeriums würde die Jugend retten. Klar.
    »Sie hatten
bereits eine Vorahnung ?« , hüstelte Schulz in seinen
Rollkragenpulli.
    »Mein Vater
hatte keinen Beruf erlernt und verbrachte den Großteil des Tages vor dem
Fernseher oder in der Kneipe. Ich kann mich nicht erinnern, ihn einmal nüchtern
erlebt zu haben. Kaum hatte ich den Wohnungsschlüssel umgedreht, ließ sein Schrei
Zorro und mich zusammenzucken. >Wo bist du gewesen, Blag, und was schleppst
du so eine Scheißtöle hier an? Ich raste aus .< «
    Vierzehn
Augenpaare starrten mich gebannt an. Man hätte eine Schneeflocke zu Boden
rieseln hören können.
    »Und, Alter ?« , röhrte Harry Zenker durch seinen struppigen Vollbart und
knautschte nervös sein Mo-törhead-Shirt.
    »Er hat Zorro
die Bierflasche auf den Schädel gehämmert, bis er sich nicht mehr bewegt hat.
>Diese Bazillenschleuder will ich nicht in meinem Haus sehen<, hat er mich
angebrüllt«, kam ich zur Pointe und ließ eine Träne in Zeitlupentempo die Wange
herunterkullern.
    »Echt krass,
der Penner. Wenn ich den in die Finger kriege, quetsch ich ihn zu Brei«, schlug
sich Zenker mit einer Faust in die Handfläche.
    »Ruhig, Herr
Zenker, ganz ruhig«, redete Schulz mit seditativem Timbre auf meinen
Leidensgenossen ein, doch auch die anderen Kollegen ereiferten sich.
    »Bitte«,
klatschte ich in die Hände, »mittlerweile bin ich fast drüber weg .« Sofort legte sich eine Aura anerkennender Ruhe auf den
Raum.
    »Du bist ein
Held«, strahlte Tattoo-Kalle mich bewundernd an. »So ’ne Scheiße hab noch nicht
mal ich mitgemacht, und mein Alter sitzt lebenslänglich wegen mehrfacher
Vergewaltigung .«
    »Genau«,
nickte Friedhelm Schulz anerkennend. Der Diplompsychologe in Diensten des
Dülmener Amtsgerichts blickte verträumt auf das Dutschkeporträt auf seinem
Pult. »Da haben wir die Ursache Ihrer Aggressionen klar vor uns liegen, Herr
Nannen. Der kleine Dieter hat es nie verwinden können, dass der übermächtige Vater
ihm das Liebste auf der Welt genommen hat. Das Fehlverhalten des Vaters äußert
sich nun in Ihrem Hass gegen das unschuldige Objekt, den Hund. Ein typischer
Verdrängungsmechanismus, den wir transformieren müssen.«
    Er grinste
noch immer das Rudifoto an, als würde der Guru durch optische Fixierung wieder
zum Leben erwachen.
    »Wie kann ich
diese Transformation in die Tat umsetzen ?« , fragte ich
mit vor Demut triefender Stimme, als würde die Last der ganzen Welt auf meine
Schultern drücken.
    Mühsam
richtete Schulle seinen Blick von Dutschke auf mich, dabei zwinkerten seine
blassgrauen Augen.
    »Eine gute
Frage. Sie müssen sich mit Ihrem Vater aussöhnen, ihm vergeben. Verzeihen ist
einer der wichtigsten Prozesse, mit dem wir unserer Psyche Gutes tun können.
Rudolf Dutschke hat auch Josef Bachmann verziehen. Sind Sie dazu bereit ?«
    Irgendwie
gefiel mir sein beseelter Blick nicht. Dennoch beeilte ich mich, »meinem Vater
sei vergeben« zu murmeln.
    Schulz nickte
andächtig. »Sie befinden sich auf einem guten Weg. Das war ein Meilenstein in
Ihrer psychischen Genesung. Herr Zenker, warum sind Sie hier ?«
    Während
Zenker erzählte, warum er die drei Libanesen zusammengeschlagen und ihr Auto
geklaut hatte, mit dem er dann ins Schaufenster von
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