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Das schottische Vermächtnis: Roman (German Edition)

Das schottische Vermächtnis: Roman (German Edition)

Titel: Das schottische Vermächtnis: Roman (German Edition)
Autoren: Susanna Kearsley
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Eins
     
    Es war kein Zufall. Nichts davon.
    Das wurde mir erst später klar; übrigens fiel es mir ziemlich schwer, mich in diese Erkenntnis zu fügen, weil ich immer fest an die Selbstbestimmung des Menschen geglaubt hatte. Mein bisheriges Leben schien mich in diesem Glauben zu bestätigen – ich wählte bestimmte Wege, die zu gewissen, ausnahmslos guten Ergebnissen führten, und die wenigen Rückschläge interpretierte ich nicht als Pech, sondern als Folge meiner unvollkommenen Einschätzung der Lage. Als Motto hätte ich vermutlich folgende Zeilen aus einem Gedicht William Henleys gewählt: Ich bin der Meister meines Geschicks; ich bin der Kapitän meiner Seele.
    An jenem Morgen, an dem alles begann, als ich zum ersten Mal mit dem Mietwagen von Aberdeen nach Norden fuhr, wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass mein Schicksal fremdbestimmt sein könnte.
    Ich hielt es für meine eigene Entscheidung, dass ich von der Hauptstraße auf eine kleinere entlang der Küste abbog, auch wenn sich diese Entscheidung als nicht sonderlich klug herausstellte, weil sich am Straßenrand mehr Schnee türmte, als es dort in den letzten vierzig Jahren gegeben hatte. Doch das kleine Schild mit der Aufschrift »Küstenstraße« war einfach zu verlockend gewesen. Mein Vater sagte immer, ich habe das Meer im Blut, denn ich war in Nova Scotia geboren und aufgewachsen.
    Ich weiß nicht, wie viele Kilometer ich bereits hinter mich gebracht hatte, als ich die Ruine auf den Klippen entdeckte, eine gezackte Silhouette vor wolkenverhangenem Himmel. Fasziniert beschleunigte ich, um sie so schnell wie möglich zu erreichen, und als die Straße unvermittelt scharf nach rechts abbog, weg von der Ruine, seufzte ich enttäuscht auf. Aber hinter einem Wäldchen zeichnete sie sich wieder dunkel vor den verschneiten Feldern ab, die sich zwischen Klippe und Straße erstreckten.
    Als ich vor mir einen leeren Parkplatz sah, lenkte ich den Wagen kurzentschlossen darauf. Es war noch nicht einmal Mittag, kalt und windig; hierher verirrte sich nur jemand, der einen Blick auf die Ruine werfen wollte. Und auch der Fußpfad, der zu dem Platz führte, ein hart gefrorener Feldweg mit kniehohem Schnee, wirkte nicht gerade einladend.
    Eigentlich hatte ich keine Zeit, weil ich um eins in Peterhead verabredet war, aber plötzlich verspürte ich den Impuls, mich genauer zu informieren, und griff nach der Landkarte.
    Ich hatte sie in Frankreich erworben, wo ich die letzten fünf Monate gewesen war, was bedeutete, dass sie eher große Straßen und Autobahnen auswies als kleine Orte und Ruinen. Das Entziffern der winzigen Schrift nahm mich so sehr in Anspruch, dass ich den Mann draußen erst bemerkte, als er schon an meinem Wagen vorbei war, die Hände in den Hosentaschen, einen Cockerspaniel mit schlammverspritzten Pfoten neben sich.
    Was für ein merkwürdiger Ort für einen Fußgänger, dachte ich, aber wenn ich die Wahl hatte zwischen einer Landkarte und einem Menschen aus Fleisch und Blut, wählte ich immer Letzteren. Also mühte ich mich ab, die Wagentür gegen die salzige Bö vom Meer zu öffnen. Als ich es endlich schaffte, trug der Wind meine Stimme fort.
    Erst beim zweiten Versuch wurde mein »Entschuldigung …« gehört, und zwar von dem Hund. Als er sich umdrehte, wandte sich auch der Mann um und trat zu mir. Er war kaum älter als ich selbst, vielleicht Mitte dreißig, hatte dunkles Haar, das der Wind zerzauste, und einen kurz geschorenen dunklen Bart, der mich ein wenig an einen Piraten erinnerte, genau wie sein fedender, selbstbewusster Gang. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, fragte er.
    »Würden Sie mir zeigen, wo ich bin?«, bat ich und reichte ihm die Karte.
    Er stellte sich so neben mich, dass er den Wind abhielt, und beugte den Kopf darüber. »Hier«, antwortete er in angenehm nordschottischem Tonfall und deutete auf eine Landspitze. »Cruden Bay. Und wo wollen Sie hin?« Dabei drehte er leicht den Kopf, so dass ich seine grauen, freundlichen Augen sah.
    »Nach Norden, nach Peterhead.«
    »Das ist nicht weit«, sagte er mit einem Blick auf die Karte. »Bleiben Sie einfach auf dieser Straße, dann kommen Sie direkt hin.« Der Hund zu seinen Füßen gähnte herzhaft. »Geduld«, sagte der Mann zu ihm. »Du siehst doch, dass ich mich gerade unterhalte.«
    »Wie heißt er denn?«, fragte ich lächelnd.
    »Angus.«
    Ich bückte mich, um den Hund hinter den schlammverspritzten Ohren zu kraulen. »Hallo, Angus. Na, du scheinst schon ordentlich
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