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Wir waren nie Freunde

Wir waren nie Freunde

Titel: Wir waren nie Freunde
Autoren: Stefan Casta
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Wänden ab.
    »Hallo«, kommt das Echo von uns.
    Dann grüßt sie mich noch einmal extra. Sie hat dunkle Ringe unter den Augen. Ich finde, sie sieht sehr müde aus.
    »Willst du noch raus, Pia? Ich dachte, wir wollten jetzt essen.«
    »Ich habe keinen Hunger«, antwortet Pia-Maria.
    El Abadel Kristin steht in der Küche und schaut aus dem Fenster. Es ist so ein sonniger, windiger Tag, an dem der Frühling gekommen zu sein scheint und es doch noch unendlich lange bis zum Frühling sein kann. Der Kies, den die winterlichen Streuwagen auf die Straßen geschüttet haben, tanzt in kleinen, lustigen Kreisen.
    Das Radio läuft brummend auf der Anrichte. Das Morgenecho berichtet von einem Massaker in Algerien.
    Islamische Fundamentalisten haben mehr als hundert Menschen in der Stadt El Abadel die Kehle durchgeschnitten. Kindern, Frauen und Alten. Kristin trinkt einen Becher Kaffee. Sie blättert schnell die Zeitung durch. Dann redet sie vom Osterwochenende. Sie möchte, dass wir zu Ikea fahren, um neue Gartenmöbel zu kaufen. Sie hat in einer Annonce eine Gruppe aus Mahagoni gesehen.
    »Die alten halten den Sommer über nicht mehr durch«, sagt sie und steht hastig vom Tisch auf. »Und eine neue Terrassenlampe brauchen wir auch. Unsere ist einfach zu hässlich.«
    Jim nickt. Er nimmt ein Toastbrot und schmiert sich eine dicke Schicht Erdnussbutter darauf.
    Kristin ruft »Tschüs« und verschwindet. Ich sehe, wie sie vor der Tür stehen bleibt und sich eine weiße Prince anzündet. Als sie ins Auto steigt, klingelt ihr Handy. Sie antwortet beim Starten. Ich bleibe stehen, sehe sie verschwinden, sehe, wie der Streusand aufwirbelt und sich wieder niederlegt.
    »Bist du soweit?«
    Ich nicke Jim zu.
    Als wir den Astrakanvägen entlanggehen, höre ich die hellen Stimmen der Kohlmeisen wie Kinderschreie zwischen den Reihenhäusern, »titt-ut, titt-ut, tittut«. Schweigend gehen wir nebeneinander her. Ich denke an die Stadt El Abadel. Jims braune Aktentasche schaukelt im Takt mit seinen großen Schritten. Ich muss weit ausholen, um bei seinem Tempo mitzuhalten.
    Als wir bei der Schule ankommen, sehe ich, wie Manny aus einem schwarzen BMW aussteigt und zu Philip läuft, der gerade sein Fahrrad anschließt. Philip hat noch feuchte Haare und sieht verschlafen aus. Manny boxt ihm in den Rücken. Philip wirbelt herum und lacht auf, als er Manny sieht. Dann beugt er sich hinunter und hebt den Fahrradschlüssel auf, der ihm zu Boden gefallen ist. Die Spikes knirschen, als der BMW von Mannys Vater langsam anfährt.
    Ich suche nach Toves schrägen Augen auf dem Schulhof und muss feststellen, dass sie nicht da ist. Ich verstehe das nicht. Sie kommt nur ab und zu.
    Was hast du für ein Glück, dass du einen Hund haben darfst Ich sehe Tove vor der Apotheke. Sie steht dort mit Criz und Pia-Maria. Criz zu Füßen liegt ein großer Schäferhund. Als sie mich entdecken, winken sie. Criz zieht eine zerknitterte Camelpackung aus der Jeanstasche und bietet mir daraus an.
    Ich schüttle den Kopf. Betrachte den Schäferhund. Der erhebt sich umständlich, und ich stelle fest, dass er Criz bis zur Taille geht. Ich gehe einen Schritt zurück. »Sie tut nichts. Platz, Ronja!«, sagt Pia-Maria.
    »Ist das dein Hund?«, frage ich Pia-Maria verwundert. Sie streicht dem Hund zärtlich über den Rücken, schüttelt den Kopf.
    »Leider nicht«, erklärt sie. »Platz, Ronja!«
    Der Schäferhund sinkt wieder in sich zusammen und richtet sein Augenmerk auf die vorbeigehenden Menschen.
    »Bist du krank?«, frage ich Tove und nicke dabei zur Apothekentüte hin, die sie in der Hand hält.
    »Ich habe Kopfschmerzen.«
    »Das klingt nicht gut«, sage ich, denn sie erscheint mir blasser als sonst. Ihre Augen sind ganz matt. »Es ist schon besser.«
    Pia-Maria hockt sich neben Ronja und legt ihr die Arme um den Hals. Dann schaut sie zu Criz hoch. »Was hast du für ein Glück, dass du einen Hund haben darfst«, sagt sie.
    Als ich aufwache, ist das Feuer kurz vorm Erlöschen. Rundherum ist es vollkommen still. Wie schon seit einer Weile.
    Wie lange schon? Ich weiß es nicht.
    Die Krähe verlassen mich langsam, obwohl ich mich so wenig wie möglich bewege. Ich ruhe mich aus, schlafe, liege unbeweglich da.
    Bald wird es hell werden. Die Dunkelheit hat bereits einen grauen Ton bekommen. Fast wie Rauch, als rauchte jemand eine Zigarette in der Dunkelheit.
    Ich sehe, wie die samtschwarze Dunkelheit der Nacht sich ins Grau auflöst, in einen grauen Matsch. So schön die
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