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Wir waren nie Freunde

Wir waren nie Freunde

Titel: Wir waren nie Freunde
Autoren: Stefan Casta
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drein.
    Ich meine sehen zu können, dass es ihr nicht gefällt, dass ein fremdes Tier in ihren Rabatten wohnt. Weder Katze noch sonst ein Tier.
    Sie zupft weiter die Fichtenzweige heraus.
    Jim richtet den Wasserstrahl auf die Beete, und als Kristin laut aufschreit, entschuldigt er sich damit, dass er gedacht habe, die Krokusse bräuchten Wasser.
    »Hör sofort auf!«, ruft Kristin mit ihrer entschlossenen Stimme, und das tut er deshalb auch gleich. Er hebt das Waschledertuch auf, das auf den Rasen geweht worden ist, und wischt den Wagen trocken. Kristin schneidet die Fichtenzweige mit der Gartenschere klein. Sie füllt drei schwarze Plastiktüten mit den Fichten und schleppt sie dann zu der grünen Mülltonne.
    »Wir bräuchten einen Kompost«, sage ich.
    Jim nickt.
    »Nie im Leben«, erklärt Kristin. »Ich will nicht, dass hier alles Mögliche herumweht. Und außerdem ist kein Platz dafür.«
    In diesem Punkt gebe ich ihr recht. Unser Reihenhaus hat wohl das kleinste Grundstück der Welt. Eine halbe grüne Briefmarke vorn und eine halbe hinten, wie Jim immer zu sagen pflegt. Ich bin derjenige, der die Briefmarke mäht. Das ist nicht so einfach, weil man fast selbst keinen Platz hat, man hat sozusagen keine Bewegungsfreiheit, um überhaupt ansetzen zu können. Das erfordert eine gewisse Technik. Und das ist eines der praktischen Dinge, die ich beherrsche.
    Auch drinnen ist es klein, in unserer Hütte. Es ist wie ein Pfefferkuchenhaus. Das sind Kristins Worte. Sie nennt es immer so, und es scheint, als wäre es allein ihr Haus, denn überall ist ihre Nähe zu spüren, überall gibt es Dinge, die sie gemacht hat: einen Sessel, den sie bezogen hat, einen Teppich, den sie gewebt hat, einen ordentlichen Stapel Wäsche, den sie gebügelt hat. Wir sind wie Untermieter bei ihr, Jim und ich.
    Merkwürdigerweise kommt man durch die Haustür direkt in die Küche. So ist das Haus gebaut. Ich habe so etwas anderswo noch nie gesehen. Aber bei uns hier ist es so. In allen Häusern kommt man direkt in die Küche, wenn man eintritt. Von dort führt ein schmaler, ziemlich dunkler Flur mit fasrigen Tapeten zu den anderen Zimmern des Hauses.
    Wir sind meistens in der Küche. Vielleicht weil man gleich dort landet, wenn man hineinkommt, ich weiß es nicht. Wir haben darüber schon oft unsere Scherze gemacht. Auf jeden Fall findet alles in der Küche statt. Kristin macht alles dort. Sie kocht etwas auf dem Herd, braut Expresswein in den großen Glasbauchflaschen auf der Arbeitsplatte, kürzt eine lange Unterhose, unterhält sich mit Ulla per schnurlosem Telefon oder hört Radio. Ab und zu stellt sie sich ans Fenster und schaut hinaus, als wartete sie auf etwas. Ich glaube, das macht sie, ohne sich dessen bewusst zu sein. Wir können das nicht verstehen, weder Jim noch ich. Was sie da sieht. Worauf sie wohl warten mag? Wir können auch nicht verstehen, wie sie das alles schafft. Wir haben genug mit unseren Büchern zu tun, ich mit meinen Hausaufgaben und Jim mit einem Stapel von Arbeiten, die korrigiert werden müssen. Aber wir sind auch in der Küche. Es scheint, als könnten wir am besten arbeiten, wenn wir in Kristins Nähe sind.
    Abends essen wir Moussaka. Kristin und Jim trinken roten Wein. Ich bleibe bei Pepsi.
    Die beiden unterhalten sich über den Sommer, aber ich höre nur mit einem halben Ohr zu. Kristin will nach Dänemark fahren. Sie redet davon, wie schön dort alles ist, die freundliche dänische Landschaft, die gemütlichen Menschen, das gute Essen. Sie will mehr Wein einschenken, aber Jim schüttelt den Kopf, sodass sie nur ihr eigenes Glas füllt und dann weiter von den Ferien redet, von dem niedlichen Dänemark und einem Ort, der Löcken heißt. Dann wird es das wohl werden, denke ich. Löcken? Welche Rolle spielt das denn auch?
    Kristin steht auf, nimmt die Zigaretten von der Fensterbank und verschwindet durch die Terrassentür. »Du solltest versuchen aufzuhören, Kristin«, sage ich. »Du stinkst nach Rauch.«
    »Werde ich, Kim. Im Sommer werde ich aufhören.« Sie zieht hinter sich die Terrassentür zu, aber nach einer Weile hören wir, wie sie ans Fenster klopft. Ich schaue hinaus, sie zeigt auf etwas auf dem Rasen. Ich entdecke einen dunklen Schatten, der dort entlangläuft.
    »Guck mal, da ist ein Igel im Garten«, berichte ich Jim. Wir gehen zu Kristin hinaus. Treten ganz vorsichtig auf den Rasen, als handle es sich um frisch gefrorenes Eis. Aber der Igel hört uns wohl dennoch, denn plötzlich zuckt er zusammen
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