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Wir waren nie Freunde

Wir waren nie Freunde

Titel: Wir waren nie Freunde
Autoren: Stefan Casta
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Abenddämmerung sein kann, so hässlich ist die Morgendämmerung. Keine Farben, keine Schönheit (keine Liebe), nur Grau. Nur die ganze Grauskala, alles andere fehlt.
    Liegt es daran, dass es eine Weile dauert, bis die Erde erwacht, weil alles Lebendige, alle Vögel, alle Sonnen, Sterne und Götter auch schlafen? Weil der Nebel erst einmal verdunsten muss, damit die Farben trocknen können und so ihre unterschiedlichen Nuancen wiederbekommen und einem neuen Tag das Leben schenken können?
    Gibt es überhaupt Farben? Einen Moment lang meine ich mich zu erinnern, dass jemand mal darüber etwas gesagt hat. Über die Farben.
    Mir fällt ein Abend ein, als ich auf dem Berg saß, die Sonne verschmolz die Farben der Erde und des Himmels miteinander, vermischte blau, rot, gelb und grün, bis alles in eine sanfte, bläuliche Dunkelheit zusammenfloss.
    Aber mehr wurde daraus nicht. Es ergaben sich keine weiteren Bilder.
    Ich wünschte mir, dass dieser graue Tag zu einem besseren Tag werde. Ich falte die Hände und bete darum. Ich bete zu neuen Göttern statt zu den alten, die mich verlassen und auf diesem Berg. zurückgelassen haben.
    Leseratte Ich stehe vor dem Buchladen und betrachte das Schaufenster, als ich sie entdecke. Sie kommen die Drottningsgatan herauf, und obwohl sie auf der anderen Straßenseite gehen, füllen ihre Körper die ganze Glasfront aus. Es ist wie in einem Drive-in-Video. Sie laufen direkt vor meiner Nase entlang: Philip, Manny, Criz, Tove und dann Pia-Maria ein Stück dahinter mit Criz' Schäferhund an der Seite. Ich könnte meine Hand ausstrecken und sie berühren, meinen Zeigefinger über Toves Wange streifen lassen. Ich denke: Hoffentlich sehen sie mich nicht. Jetzt nicht. Nicht hier. Und im gleichen Moment höre ich Philips Stimme.
    »Hei, Kim!«
    Ich drehe mich langsam um. Nicke ihnen zu.
    »Willst du Bücher kaufen?«, fragt Manny verwundert. Ich schüttle den Kopf. Dummerweise tue ich das. Ich traue mich nicht die Wahrheit zu sagen. Ich traue mich nicht, dazu zu stehen.
    »Oh Scheiße, nein«, rufe ich.
    Da lacht Pia-Maria.
    »Komm doch mit!«, ruft sie.
    »Wohin?«
    Sie überqueren die Straße und bleiben neben mir stehen. Manny starrt ins Schaufenster, als suchte er nach etwas, was mein Interesse erklären könnte. Dann betrachtet er mich wieder. Er bohrt geradezu seinen Blick in mein Gesicht und lässt ihn dort. Seine Augen sehen belustigt aus, das sieht klasse aus. Aber die lustigen Augen stimmen nicht mit dem Rest des Gesichts überein, schon gar nicht mit dem zusammengebissenen Kiefer. »Wir wollen nach Hause zu PM«, sagt Manny und nickt zu Pia-Maria. Er hält zwei Videofilme hoch. »Ich habe keine Zeit«, lüge ich.
    He and him Jim und ich stapfen die Kungsgatan hinauf. Es ist Sonntag, sunday, und tatsächlich sun, Sonne und Schnee in der Luft. Es ist Aprilwetter. »Man muss es nehmen, wie es ist«, sagt Jim. »Das muss so sein. Schnee und Sonne in der Luft.«
    Ich denke, das ist genau wie mit den Vögeln. Da kriegt man auch einen Teil Dreck mit ab.
    Durch die ganze Stadt bewegen sich Menschen, die das gleiche Ziel haben wie wir. Einige sind allein, andere zu zweit, wie Jim und ich.
    Als wir zur Södra-Promenaden kommen, kann ich den Text auf dem Schild über dem Eingang lesen: Heimspiel gegen AIK um 13.30 Uhr. Die blaugelben Flaggen flattern im Wind.
    Und da spüre ich es wieder ganz deutlich, das, was ich immer empfinde, wenn Jim und ich die Kungsgatan hinaufgehen. Diese erwartungsvolle Stimmung. Dieses Feierliche. Und jetzt zu Beginn, nach einem ganzen Winter Warten, ist es am intensivsten, und dann später während der glasklaren Sonntage Ende September, wenn der Kampf um die Spitze härter wird und fast etwas Religiöses in der Luft liegt, wenn wir hier entlanglaufen. Als ich klein war, habe ich die Hände hochgehoben, um zu sehen, ob ich es greifen könnte. Jim hielt mich immer an der Hand (vielleicht weil er so große Schritte macht und Angst hatte, ich würde nicht mitkommen) und ich war gezwungen, mich aus seinem Griff zu befreien, um zu sehen, ob ich es nicht fassen konnte. Und wenn ich dann festgestellt hatte, dass es nicht möglich war, schob ich meine Hand wieder in seine Faust und versuchte mit ihm Takt zu halten.
    Plötzlich fällt mir das Lied ein, das wir immer gesungen haben, ein kleiner Vers, den ich selbst erfunden hatte und den ich vor mich hinsummte. Hier kommen Jim und Kim, he, he, he and him. Hier kommen Kim und Jim, he, he, he and him ...
    Zu der Zeit glaubte ich
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