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Wir waren nie Freunde

Wir waren nie Freunde

Titel: Wir waren nie Freunde
Autoren: Stefan Casta
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und rollt sich zu einer spitzen Kugel zusammen.
    »Oh, was hat der für eine Angst gekriegt!«, ruft Kristin und kniet sich ein Stück von ihm entfernt auf den Boden. Wir warten eine Weile, aber der Igel rührt sich nicht, er sieht aus, als stellte er sich tot. Jim meint, wir sollten lieber reingehen, damit er seine Ruhe hat.
    »Du musst vorsichtig sein, wenn du über den Astrakanvägen gehst«, sage ich dem Igel. »Die Leute fahren da wie die Idioten.«
    Jim und ich decken ab, während Kristin abwäscht. Dann klingelt das Telefon, und es ist ausnahmsweise einmal nicht Ulla, sondern Philip, der fragt, ob ich am nächsten Morgen ganz früh mitkommen und am Strömmen nach Eisvögeln Ausschau halten will. Aber ich sage ab. Ich könne nicht, lüge ich, weil ich keine Lust habe, nach Eisvögeln Ausschau zu halten.
    »Wenn du es dir doch noch anders überlegst, wir treffen uns an der Kastanie«, sagt er.
    Und das tue ich. Ich überlege es mir anders. Das tue ich immer wieder. Aber was diesen Fall betrifft, so liegt es nur daran, dass ich die ganze Nacht von Tove träume. Ich träume, dass wir eng umschlungen zusammen gehen, ich meinen Arm um sie gelegt habe und ihr zeige: »Guck mal, Tove, da sind ein paar Eisvögel.«
    Also falle ich um halb sechs aus dem Bett und tappe in die Küche, um mir ein paar Brote zu schmieren, ziehe meine lange grüne Helly-Hansen-Unterhose und Gummi- stiefel an und staple zum Strömmen, während das graue Dämmerlicht langsam einen weiteren Tag in meinem Leben aufdeckt.
    Es ist draußen menschenleer und der Schnee fällt.
    Videoalltag Es ist Mittwoch, ein ganz gewöhnlicher Alltagsmittwoch, es scheint alles stillzustehen, als hätte das Leben sich aufgehängt. Wir liegen bei Pia-Maria mit den Brüsten daheim auf dem Boden und gucken Video: Philip, Manny, Criz, Tove, ich. Es ist das erste Mal, dass ich bei Pia-Maria bin, vielleicht erinnere ich mich deshalb so genau daran.
    Sie hat eine Schale mit gefüllten Keksen hingestellt, die wir verputzen. Wir haben Tee und Cola getrunken und eine Tüte Tacochips gegessen, die ich eigentlich nicht mag. Jetzt lässt Pia-Maria eine Tafel Schokolade herumgehen.
    »Eine Rippe, Manny!«, sagt sie streng.
    »O Scheiße, der Film ist ja total krass«, sagt Philip und gähnt ausgiebig.
    »Ich finde, wir hören auf damit«, sage ich, weil ich auch keine Lust mehr habe, Filme anzugucken. Das hier ist schon der dritte nacheinander.
    »Eine, habe ich gesagt!« Pia-Maria versucht die Schokoladentafel zu ergattern.
    »Seid mal still!«, schimpft Criz.
    Manny grinst Pia-Maria höhnisch an. Er hält die Schokolade in die Höhe, und als sie versucht, sie zu erwischen, zieht er Pia-Maria auf den Boden und legt sich auf sie. Er schiebt schnell eine Hand unter ihren Pullover und umfasst ihre Brust.
    »Hör auf, verdammt nochmal«, schimpft Pia-Maria und schüttelt Manny wie ein ungehorsames Kind ab. Manny grinst.
    »Schnauze!«, meckert Criz.
    Ein Maschinengewehr beginnt seine Salve loszuschicken. Geräusche von zersplitterndem Glas. Wir schau en auf den Bildschirm. Das geht vielleicht vier, fünf Minuten lang so, dann kommt wieder ein Dialog.
    »Meine Mutter kommt gleich«, sagt Pia-Maria und schaut auf die Uhr.
    Criz verschwindet aufs Klo. Ich höre sie spülen, aber sie kommt nicht wieder zurück. Ich weiß, dass sie sich schminkt. Sie legt eine Schicht rabenschwarzes Mascara über die blauen Augen und bürstet das phosphorweiße Haar. Nach einer Weile klopft Pia-Maria an die Tür und geht zu ihr hinein.
    Manny nutzt die Gelegenheit, in die Küche zu huschen. Er öffnet den Kühlschrank und mustert die Regale. Holt eine Schüssel mit Gemüsebratlingen heraus und bedient sich. Pia-Maria kommt in dem Moment dazu, als er die leere Schüssel auf die Arbeitsplatte stellt.
    »Das wollten wir heute Abend essen! «, ruft sie aus. »Oh, verdammt«, meint Manny. »Das hättest du doch sagen können.«
    »Du hättest ja fragen können.«
    »Hört auf«, sagt Philip. »Tove kann doch schnell runtergehen und etwas einkaufen.«
    »Nie im Leben!«
    Ich höre zu. Ich sage fast nichts. Ich weiß nicht, wo mein Platz in der Bande ist. Ich bin nur Toves wegen hier.
    »Wir hauen ab«, beschließt Philip.
    Auf der Treppe begegnen wir Pia-Marias Mutter.
    Sie trägt einen großen Karton mit Lebensmitteln von Hemköp, den sie beim Treppensteigen auf die Hüfte stützt.
    »Hallo«, sagt sie. Sie pustet das Wort geradezu aus, und es prallt wie eine Billardkugel in dem kalten Treppenhaus von den
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