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Der Einbruch des Meeres

Der Einbruch des Meeres

Titel: Der Einbruch des Meeres
Autoren: Jules Verne
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Erstes Kapitel.
Die Oase von Gabes.
    »Ja… was weißt du nun?
    – Nur das, was ich am Hafen gehört habe.
    – Dort sprach man von dem Schiffe, das Hadjar aufnehmen… das ihn fortführen soll?…
    – Ja, nach Tunis, wo man ihn aburteilen…
    – Ihn verurteilen wird?…
    – Leider… verurteilen.
    – Allah kann das nicht zulassen, Sohar!… Nein, Allah wird es nicht gestatten!
    – Still… still!« rief Sohar erregt und lauschte, als ob er ein Geräusch von Schritten auf dem Sande vernähme.
    Ohne sich aufzurichten, schlich er nach dem Eingange des verlassenen Marabout, wo diese Worte gewechselt wurden. Noch war es einigermaßen hell, doch mußte die Sonne bald hinter der Dünenkette versinken, die hier die Küste der Kleinen Syrte umrahmte. Anfang März dauert unter dem vierunddreißigsten Grade nördlicher Breite die Dämmerung nicht lange. Das Tagesgestirn folgt dann keiner schrägen Linie nach dem Horizonte, sondern scheint wie ein dem Gesetz der Schwere folgender Körper lotrecht herabzufallen.
    Sohar hielt an und machte dann einige Schritte über die vom Sonnenbrande halb zerbröckelte Schwelle hinaus. Sein Blick schweifte einen Augenblick forschend über die benachbarte Ebene.
    Im Norden ragten die grünenden Wipfel einer Oase empor, die etwa anderthalb Kilometer von hier entfernt lag. Im Süden verlief über Sehweite hinaus der gelbliche Strand, überspült vom Schaume der Brandung bei der jetzt zunehmenden Flut. Im Westen hob sich der Dünenkranz noch scharf vom Himmel ab, und im Osten glänzte die weite Meeresfläche, die den Golf von Gabes bildet und die tunesische Küste bespült, die sich in der Richtung nach Tripolis tief einbuchtet.
    Der leichte Westwind, der am Tage die Luft etwas gekühlt hatte, war am Abend völlig eingeschlafen. Kein Geräusch schlug an Sohars Ohr. Vorher hatte er geglaubt, jemand in der nächsten Umgebung des alten, weißen, von einer Palme überdachten Gemäuerwürfels gehen zu hören, er erkannte jetzt aber seinen Irrtum.
    Weder nach den Dünen noch nach dem Strande zu war jemand zu entdecken. Er umkreiste das kleine Bauwerk… niemand, und keine Fußspuren im Sande, außer denen von ihm und seiner Mutter, die sie vor ihrem Betreten des Marabout zurückgelassen hatten.
    Kaum war Sohar eine Minute ins Freie hinausgetreten, als seine Mutter, unruhig, ihn nicht wieder zurückkommen zu sehen, schon auf der Schwelle erschien.
    Ihr Sohn, der eben um die Ecke des Marabout herumkam, beruhigte sie mit einer Handbewegung.
    Djemma, eine Afrikanerin aus dem Stamme der Tuaregs, war über sechzig Jahre alt, von großer, kräftiger Gestalt und gerader, Energie verratender Haltung. Aus ihren, wie aller Frauen ihrer Herkunft, blauen Augen leuchtete ein Blick, worin sich Feuer und Stolz paarten. Eigentlich von weißer Hautfarbe, erschien sie doch gelblich von der Ockerfärbung die ihre Stirn und Wangen bedeckte. Sie war mit dunkelm Stoffe bekleidet, mit einem weiten Haïk aus der Wolle, die die Herden der in der Umgebung der Sebkhas oder Schotts von Niedertunis siedelnden Hammama in so reicher Menge liefern. Ein weiter Capuchon bedeckte ihren Kopf, in dessen dichten Haarschmuck sich erst wenige Silberfäden verirrt hatten.
    Djemma blieb unbeweglich stehen, bis ihr Sohn an sie herantrat. In der Umgebung hatte er nichts Verdächtiges bemerkt, und die Stille ringsum unterbrach nur der klagende Gesang des Bou-Habibi, des Sperlings von Djerid, von dem einige Paare an der Seite der Dünen umherflatterten.
    Djemma und Sohar zogen sich wieder in den Marabout zurück, um hier die Dunkelheit abzuwarten, die es ihnen ermöglichen sollte, unbemerkt nach Gabes zu gelangen.
    Flüsternd setzten sie jetzt das unterbrochene Gespräch fort.
    »Das Schiff hat La Goletta verlassen?
    – Ja, Mutter, und schon heute morgen hat es das Kap Bon umsegelt. Es ist der Kreuzer ‘Chanzy’.
    – Und der wird noch heute hier eintreffen?
    – Noch diese Nacht, wenn er nicht erst noch Sfax angelaufen hat. Wahrscheinlich aber geht er nur vor Gabes vor Anker, wo dein Sohn, mein Bruder, an ihn übergeben werden wird.
    – Hadjar… Hadjar! murmelte die alte Tuareg, zitternd vor Zorn und Schmerz. Mein Sohn… mein Sohn! rief sie dann schluchzend, diese Rumihs 1 werden ihn töten, und ich werde ihn nicht wieder sehen… er wird nicht mehr zur Stelle sein, die Targui zum heiligen Kriege zu entflammen! Nein, nein, das kann Allah nicht zulassen!«
     

    Im Norden ragten die grünenden Wipfel einer Oase empor. (S. 6.)
     
    Und
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