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Der Einbruch des Meeres

Der Einbruch des Meeres

Titel: Der Einbruch des Meeres
Autoren: Jules Verne
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als ob dieser Ausbruch des Schmerzes ihre Kräfte erschöpft hätte, sank Djemma in einer Ecke des kleinen Raumes auf die Knie nieder und blieb schweigend liegen.
    Sohar war wieder auf die Schwelle hinausgetreten und lehnte sich an die Tür… stumm, als wäre er selbst aus Stein geformt, wie die Statuen, die zuweilen den Eingang zu den Marabouts schmücken. Kein beunruhigendes Geräusch weckte ihn aus seiner regungslosen Haltung. Im Osten wuchs das Schattenbild der Dünen, je tiefer die Sonne am Horizonte niedersank. Im Westen der Kleinen Syrte stiegen die ersten Sterne empor. Die schmale Sichel des Mondes in seinem ersten Viertel leuchtete matt über dem Nebelmeere in der Ferne. Alles deutete auf eine ruhige, aber finstre Nacht, da die aufsteigenden Dunstmassen die Sterne bald zu verhüllen drohten.
    Kurz nach sieben Uhr gesellte sich Sohar wieder zu seiner Mutter.
    »Es ist nun Zeit, sagte er leise.
    – Ja, antwortete Djemma, höchste Zeit, Hadjar den Händen jener Rumihs zu entreißen. Vor Sonnenaufgang muß er aus dem Gefängnisse von Gabes befreit sein… morgen… morgen wär’ es zu spät!
    – Es ist alles vorbereitet, Mutter, versicherte Sohar. Unsere Gefährten warten nur auf uns. Die in Gabes haben die Entführung vorbereitet, die von Djerid werden Hadjar als Geleite dienen, und ehe der Tag graut, werden alle weit draußen in der Wüste sein.
    – Und ich mit ihnen, erklärte Djemma, ich werde meinen Sohn nicht verlassen!
    – Und ich mit dir, rief Sohar, ich werde mich weder von dir, noch von meinem Bruder trennen!«
     

    Djemma blieb unbeweglich stehen. (S. 7.)
     
    Djemma erhob sich, zog ihn an sich und preßte ihn in die Arme. Dann schob sie den Capuchon ihres Haïks zurecht und trat über die Schwelle hinaus.
    Auf dem Wege nach Gabes ging Sohar einige Schritte vor ihr her. Statt dem Uferrande zu folgen, den weithin reichende Anhäufungen von Seepflanzen bezeichneten, die von der letzten Flut ans Land getragen worden waren, schlichen beide am Fuße der Dünen hin, wo sie auf der etwa anderthalb Kilometer langen Wegstrecke unbemerkter fortzukommen hofften. Kein Lichtschein unterbrach die Dunkelheit ringsum. In die fensterlosen arabischen Häuser dringt das Licht nur von dem Hofe her ein, und wenn es Nacht geworden ist, leuchtet kein Schein nach außen.
    Jetzt wurde jedoch über der undeutlichen Silhouette der Stadt ein schimmernder Punkt sichtbar. Ein ziemlich glänzender Strahl war es, der aus den höher gelegenen Teilen von Gabes kommen mußte, entweder von dem Minaret einer Moschee, oder von dem Schlosse her, das die Stadt beherrschte.
    Sohar erkannte das sofort und wies mit dem Finger darauf hin.
    »Der Bordj… sagte er.
    – Und dort ist es, Sohar?…
    – Ja… dort haben sie ihn eingekerkert, Mutter!«
    Die alte Frau war stehen geblieben. Ihr war’s, als ob dieser Lichtstrahl eine Art Verbindung zwischen Sohn und Mutter bildete. Stahl sich das Licht auch nicht aus der Zelle, worin jener gefangen saß, so kam er doch aus dein Fort, wohin man Hadjar geschleppt hatte. Seitdem er, der mächtige Führer der Tuaregs, den französischen Soldaten in die Hände gefallen war, hatte Djemma ihren Sohn nicht wiedergesehen, und darauf mußte sie jedenfalls für immer verzichten, wenn er nicht diese Nacht durch eine glückliche Flucht dem Schicksale entging, das ihm durch den Spruch des Kriegsgerichtes bevorstand. Sie blieb deshalb wie eingewurzelt auf der Stelle, so daß Sohar sie zweimal durch ein »Komm doch, Mutter, komm!« zum Weitergehen bewegen mußte.
    Der Weg führte noch immer am Fuße der Dünen hin, die in einem Bogen bis zur Oase von Gabes reichten, zu der Vereinigung von kleinen Ortschaften und einzelnen Häusern… übrigens der größten auf dem Festlandsufer der Kleinen Syrte.
    Sohar wendete sich jetzt der Häusergruppe zu, die die Soldaten Coquinville (Schelmenstadt) zu nennen pflegen. Eigentlich besteht diese nur aus einem Haufen hölzerner Hütten, worin ausschließlich Kleinkrämer und Straßenhändler wohnen, was dem Ortsteile auch seinen ganz gerechtfertigten Namen verschafft hat. Er liegt nahe der Eintrittsstelle des Oued, eines Baches, der sich unter dem Schatten der Palmen in vielfachen Bogen durch die Oase hinwindet. Dort erhebt sich auch der später Fort Neuf genannte Bordj, den Hadjar nur verlassen sollte, um nach dem Gefängnisse von Tunis übergeführt zu werden. Und aus diesem Bordj hofften ihn seine Gefährten, die alle Vorbereitungen zu seiner Flucht getroffen hatten,
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