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Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman
Autoren: Ned Beauman
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ERSTES KAPITEL
    Manchmal, wenn ich nichts zu tun habe, schließe ich die Augen und stelle mir die Feier zum dreiundvierzigsten Geburtstag von Joseph Goebbels vor. Mir gefällt der Gedanke, dass Hitler selbst im geschäftigen Herbst des Jahres 1940 noch die Zeit fand, eine Überraschung für seinen lieben Freund vorzubereiten, nachdem er wochenlang so getan hatte, als sei ihm das Datum entfallen: Absichtlich hatte er die ungeschickten und immer verdrosseneren Hinweise des Propagandaministers ignoriert und gewartet, bis am Abend des 29.   Oktober auch der letzte Befehl an seine U-Boot-Kommandanten abgegangen war, bevor er Goebbels unter einem Vorwand in die Bar der Reichskanzlei führte. Laute Rufe: »Alles Gute zum Geburtstag!«, unzählige Fähnchen, ein erleichtertes Lachen, als Goebbels den Führer umarmte, vielleicht sogar mit Tränen der Rührung in den Augen. Die Feier konnte beginnen.
    Das sind natürlich Mutmaßungen. Sicher ist jedoch, dass Hitler Goebbels irgendwann an diesem Tag sein Geburtstagsgeschenk überreichte: eine erlesene fünfzehnbändige, illustrierte Gesamtausgabe von Goethes Werken, erschienen 1881 im Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung in Stuttgart, gebunden in rotes Saffianleder mit goldgeprägtem Buchrücken und marmorierten Schnitten.
    Man kann die Soldaten der 101.  US -Luftlandedivision nur bedauern, die beinahe fünf Jahre später in ein mit Brettern vernageltes Salzbergwerk bei Berchtesgaden eindrangen und die Schnapskisten aufbrachen, die sich dort stapelten. Denn sie fanden weder Goldbarren noch die Heilige Lanze, die Christus in die Seite gestoßen wurde, nicht einmal eine einzige tröstliche Schnapsflasche, sondern Goebbels’ private Bibliothek, die hastig dort versteckt worden war, als sich das Kriegsgeschick gegen die Nazis zu wenden begann. Dennoch besaß jemand genug Pflichtbewusstsein, um die Bücher vor dem Feuer zu retten, sodass sie in die Library of Congress in Washington gebracht werden konnten. (Die Mehrzahl von Hitlers sechzehntausend Büchern wurde unterdessen zusammen mit seinem Schädel und Eva Brauns Unterwäsche von der Roten Armee sichergestellt und verrottet bis zum heutigen Tag auf dem Gut Uskoje bei Moskau in einer verlassenen Barockkirche, die ich mir nur als das mit Abstand unheimlichste Bauwerk der ganzen Welt vorstellen kann.)
    Die Bücherkisten aus dem Salzbergwerk wurden erst 1952 ausgepackt, als ein Student, der ein Praktikum machte und wahrscheinlich wünschte, er hätte in einem Ferienlager ausgeholfen, mit dieser Aufgabe betraut wurde. Inzwischen war die Goethe-Ausgabe mit Hitlers freundlicher Widmung und gelegentlichen Randbemerkungen von Goebbels auf dem freien Markt aufgetaucht. Und etwa fünfzig Jahre später gelangte sie in den Besitz von Horace Grublock, dem Bauunternehmer aus London, für den ich bis zu seinem gewaltsamen Tod vor einigen Monaten hin und wieder Aufträge erledigt habe.
    Zwischen 2002 und 2007 schenkte Grublock mir als Gegenleistung für meine Dienste drei Bände (von Prometheus bis Iphigenie auf Tauris ) und versprach mir, dass ich eines Tages die gesamte Ausgabe bekommen würde, wenn ich mich loyal verhielt. Das war demütigend, aber Grublock sagte, er würde nie verkaufen. Und selbst wenn er es täte, würde die Art Händler, die Goebbels’ Goethe handhaben konnte, von jemandem wie mir, Kevin Broom, nicht einmal einen Telefonanruf entgegennehmen; und selbst wenn sie es täten, könnte ich mir die Bücher niemals leisten. Also hatte ich keine Wahl, als ihm zu gehorchen.
    Obwohl mir die Zahnpasta noch aus dem Mund tropfte, rannte ich daher eilig zum Telefon, als Grublock eines Donnerstags im September um zehn Uhr abends anrief, damals, als ich noch nie etwas von der Stadt Roachmorton gehört hatte. Ich wusste, dass er es war.
    »Fishy«, sagte er.
    »Ja, Horace?«
    »Erinnerst du dich an diesen Privatdetektiv, der den einen oder anderen Auftrag für mich erledigt? Zroszak?«
    »Ich denke schon.«
    »Er soll sich jeden Abend telefonisch melden. Aber jetzt hat er es zweimal versäumt, ohne Angabe von Gründen. Ich hab selbst versucht, ihn anzurufen, aber er geht nicht ran. Fahr mal rüber und vergewissere dich, dass alles in Ordnung ist.«
    »In sein Büro?«
    »Er hat kein Büro. Er arbeitet von zu Hause aus wie ein Handleser aus der Vorstadt. Es ist in Camden. Dauert nur zehn Minuten.« Er gab mir die Adresse.
    »Woran arbeitet er denn gerade für Sie?«
    »Du weißt ganz genau, dass ich dir das nicht sagen kann,
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