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Wir waren nie Freunde

Wir waren nie Freunde

Titel: Wir waren nie Freunde
Autoren: Stefan Casta
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TEIL 1
    Könnte ich dir doch folgen so weit, weiter als deine Gedanken selbst reichen weit fort, hinaus in die Welteinsamkeit des fernsten Weltalls, wo die Milchstraße rollt grellen, sterbenden Schaum und wo du Halt suchst im schwindelnden Raum. Ich weiß: das geht nicht.
    K. Boye

    Ich liege jetzt am Feuer. Es brennt nur mit Mühe und Not. Die Flammen werfen sich rastlos hin und her, lecken an den feuchten Zweigen entlang, die ich zusammen- gesucht habe. Es sieht so aus, als könnte es jeden Mo- ment erlöschen, aber dann schlagen doch immer wieder Flammen hoch. Ich habe einen Arm voll Fichtenreisige hineingeworfen, ich nehme an, dass dadurch das Feuer gerettet wird, was wiederum mich rettet. Fichtenreisige!
    Es weht, obwohl es Nacht ist. Ein eiskalter Wind schleicht sich über den Bergkamm zu mir hin. Ich fühle ihn an meinem Rücken, wo der Schweiß getrocknet oder zu Eis gefroren ist, ich weiß es nicht. Ich weiß nichts mehr. Es interessiert mich nichts mehr.
    Und dennoch: Vielleicht tue ich es ja doch. Ich ver- suche zu denken. Ich versuche die Zeit verstreichen zu lassen. Und irgendwie tut sie das dann auch. Die Sekunden ticken auf den Uhren der Zivilisation. Auf Arm- banduhren, Radioweckern, Wanduhren, am Herdabzug in Kristins Küche.
    Irgendwo gucken Menschen Fernsehen. Irgendwo wird ein Mädchen von seinem Papa gut zugedeckt. Irgendwo isst ein Junge eine Scheibe Brot mit Erdnussbutter und öffnet den Kühlschrank, um einen Liter Milch heraus- zuholen. Irgendwo geht das normale Leben weiter. So muss es sein.
    Hier ist Nacht ohne Sterne. Nacht, vollkommen erfüllt von einem hoffnungslosen schwarzen Dunkel. Kein Mond, keine Planeten, keine Satelliten (kein Gott). Ich sehe nichts, höre nichts.
    Hier ist Nacht ohne jeden Laut. Ohne die Unterhaltung der Menschen und das sichere Ticken der Uhren, ohne das ständige Brausen der Städte. Die Bäume schlafen mit gestrecktem Rücken um mich herum.
    Ich denke an Jim und Kristin. Überlege, ob sie wohl inzwischen unruhig geworden sind.
    Tove, my Love! Unbeschreibliche, unnahbare Tove. Es gibt so viel, was jetzt zueinanderpasst, und immer noch so viel, was ich nicht verstehe. So viel, was deine schrägen Augen andeuten.
    Ich sehe dich wie in einem Spiegel, und zunächst denke ich, dass das hier auch ein Traum ist, denn ich habe so oft an dich gedacht. Aber dann begreife ich, dass dem nicht so ist. Dass der Albtraum endlich ein Ende hat, dass alles wieder normal wird, ja, jedenfalls fast normal, denn als ich mich umdrehe, sehe ich dich erneut, und du bist es wirklich in dem ganz normalen Spiegel bei Hennes und Mauritz. Hinter einem Metallgestell mit weißen Höschen. Zwischen Schminksachen. Du suchst zwischen den Kleinigkeiten dort, drehst dich dabei aber die ganze Zeit immer wieder um, als würdest du auf jemanden warten. Ich beobachte dich eine Weile. Das mache ich jetzt häufig. Leute beobachten. Ich suche nach einem neuen Pullover, Ersatz für den, der verbrannt ist.
    Aber du lässt mich die Kleidung vergessen. Ich spüre, wie mir wieder schwindlig wird, vor Anspannung und Un- behagen, und ja, ich merke, wie alles wieder in mir hochsteigt, wie alles wieder von vorn anfängt.
    Es scheint, als hätte uns etwas in den gleichen Laden geführt. Ich ziehe den blauen Pullover mit V-Ausschnitt mit weißem Bündchen wieder aus und versuche ihn zusammenzulegen. Eine Verkäuferin sieht, was ich da mache, kommt zu mir und sagt, dass sie sich schon darum kümmern wird.
    Ich gehe hinüber zur Mädchenseite, stoße mit den weißen Slips zusammen, die wie ein Schwarm Sturmmöwen aufflattern, der plötzlich hochfliegt. Da schaust du wieder auf. Da entdeckst du mich. Da beginnt das Leben wieder. Und zwar in Farbe! Es ist ein ganz normaler Tag, im September, nehme ich an, aber es ist in Farbe!
    Du wirfst mir kurz einen Blick zu, und erst denke ich, dass du Angst vor mir hast. Aber dann sehe ich ein schüchternes Lächeln, das schnell wie eine Waldeule über deine roten Lippen huscht. Das genügt. Das bedeutet etwas. Das bedeutet viel. Jetzt ja!
    »Hei«, sage ich, denn alle Worte haben ihren Inhalt verloren.
    Du hast Lidschatten in der Hand, Isa Dora. Das ist Kristins Marke. Ich hätte nicht gedacht, dass ihr derselbe Typ seid. Aber vielleicht kann man den gleichen Lidschatten benutzen, ohne das zu sein. Ich überlege, ob ich dich fragen soll. Aber dann fällt mir ein, dass du ihn vielleicht für deine Oma kaufen sollst. Es ist verrückt, was für merkwürdige Dinge einem durch den
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