Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir waren nie Freunde

Wir waren nie Freunde

Titel: Wir waren nie Freunde
Autoren: Stefan Casta
Vom Netzwerk:
Küche, das Musik von sich geben kann, Stunde um Stunde. So ist sie auch, die Lerche. Ich blinzle vorsichtig mit einem Auge zum Himmel und entdecke den Vogel, der mit vibrierenden Flügeln, durch die die Sonne hindurchscheint, in der Luft zu hängen scheint.
    Das ist toll mit den Vögeln, denke ich. Jedenfalls toll mit denen, die man kennt. Bussard und Lerche.
    Später liegen wir auf einer Anhöhe oberhalb des Svensksunds. Hier sind nur wir und tausend Lachmöwen und trockenes, graues Wintergras, das unter uns raschelt, wenn wir uns bewegen. Die Luft vibriert vom Möwengeschrei, und wir müssen uns anstrengen, um die Watvögel weit unter uns hören zu können. Ihretwegen sind wir hergekommen, nicht wegen der Möwen. Die Möwen interessieren nicht.
    »Ein Austernfischer!«, ruft Philip, und wir versuchen den neuen Vogel mit dem Fernglas zu finden. Philip hat ein Fernrohr. Ein fast neues Kowa auf Stativ. Das bringt scharfe Bilder wie ein Video. Ich habe eines von Philips alten Ferngläsern ausgeliehen. Es ist schwarz und ausreichend scharf, und ich habe kein Problem, dem schwarzweißen Vogel zu folgen, der am Strand entlangspaziert und mit seinem langen roten Schnabel in der feuchten Erde stochert. Austernfischer, denke ich, ja, genau. Roter Schnabel. Leicht zu erkennen.
    Wir trinken Kakao, und ich stopfe Kristins Brote mit Quark und Tomate in mich hinein.
    Tove notiert den Austernfischer in ihr rotes Notizbuch. Darin stehen bereits einige andere, vor allem See- und Watvögel, aber auch eine Starenschar und ein paar Kiebitze. An mehr erinnere ich mich nicht.
    Es ist inzwischen Vormittag. Ich gönne den Vögeln eine Pause. Manny und Pia-Maria liegen ein Stück von uns entfernt, dicht nebeneinander. Ich weiß nicht, was sie treiben.
    Die Sonne ist hervorgekommen, und Tove meint, was es doch für ein Glück sei, dass wir trotzdem aufgebrochen sind. Dass es fast immer so abläuft, man liegt in seiner warmen Koje und möchte am liebsten nur weiterschlafen. Es ist zu früh um aufzustehen. Man hat keine Lust, sich in Dunkelheit und Kälte zu stürzen. Aber später, wenn man erst einmal in Gang gekommen ist, wenn man draußen auf irgendeinem Hügel endgültig aufgewacht ist, dann ist man nur froh, dass man mitgefahren ist. Dass man es geschafft hat.
    Ich selbst weiß nicht, was ich meine. Das ist alles so neu für mich. Ich lache Philip zu, der auf einen Fels geklettert ist. Ich sehe, wie sich sein Körper aufzulösen und in ein anderes Wesen zu verwandeln scheint: in das eines Vogels. Weich und geschmeidig wirst du zu einem Vogel, Philip. Deine Schulterblätter heben sich, die Arme werden mit Luft gefüllt und beginnen sich zu bewegen, langsam und ganz leicht, und dann schreist du: »Kiijäh, kiijäh, kiijäh « , denn du bist ein Bussard, wie ich annehme, ein Schlangenbussard, der sich auf dem Felsen niedergelassen hat und bald weiter in Richtung Stadt fliegen wird.
    Wir lachen über Philip. Ich am lautesten, denn ich habe so etwas noch nie gesehen.
    Ich schaue Tove an. Ihre schmalen, etwas schrägen Augen, die ihr ein fast japanisches oder thailändisches Aussehen geben. Obwohl ich doch weiß, dass sie ganz und gar nicht aus der Gegend stammt. Ich sehe, dass sie Sommersprossen um die Nase hat. Das sollte sie auch in ihr rotes Heft notieren. Denn das sind die Ersten in diesem Jahr.
    Ich spüre, wie die Sonne mir die Kräfte entzieht, man wird ganz müde von ihr. Das Gesicht wird heiß. Es ist ein Samstagmorgen im März, denke ich und merke, wie ich im Gras einschlafe.
    Home sweet home Als ich nach Hause komme, wäscht Jim das Auto und Kristin kriecht auf Knieschonern herum und zupft Fichtenzweige aus den Rabatten vor dem Haus.
    »Hallo«, sage ich.
    »Komm mal her und guck dir das an!«, ruft Kristin. »Hier hat jemand den Winter über gewohnt.«
    Ich lehne das Fahrrad an die Wand, und es fällt natürlich gleich um, direkt auf die Mahonienbüsche, und Kristin brummt, und ich muss noch einmal von vorn anfangen, und als es endlich an der Wand steht, vergewissere ich mich ein paar Mal, dass es diesmal auch wirklich stehen bleibt, bevor ich zum Beet hinlatsche.
    »Ist ja cool«, sage ich, als sie es mir zeigt. Zwischen der langen Reihe mit blauen und gelben Krokussen auf hohen, bleichen Stängeln befindet sich eine kleine, warme Höhle aus vertrockneten Blättern.
    »Was meinst du, was kann das gewesen sein?«, fragt Kristin.
    »Vielleicht eine Katze«, sage ich. »Es wimmelt ja hier von Katzen.«
    Kristin schaut zweifelnd
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher