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Wir waren nie Freunde

Wir waren nie Freunde

Titel: Wir waren nie Freunde
Autoren: Stefan Casta
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auffliegen und eines Morgens, wenn der erste Frost sich wie eine weiße Decke aufs Gras gelegt hat, in riesigen Scharen davonziehen, von den Fischen in den großen Seen, und ich denke, wie merkwürdig es doch ist, dass ich das verstehe, dass ich sehen kann, was er meint, wie es tatsächlich dort ist, in Michigan, wie herrlich der Fisch in den großen Seen steht, und dass das etwas ganz anderes ist als der Fisch, den wir hier ab und zu fangen. »Du bist wie Hemingway, Jim«, sage ich.
    Und darüber muss er lachen und nimmt einen großen Schluck von seinem Bier. Er ruft es Kristin zu, und sie antwortet mit einem Lachen, das den ganzen langen Flur zwischen Küche und Wohnzimmer entlang flattert. Es scheint besser zwischen ihnen zu laufen, denke ich. Sie haben schon mehrere Tage lang nicht miteinander gestritten.
    Kristin öffnet eine Flasche Rotwein. Sie macht das mit einer selbstverständlichen Eleganz, der Korken springt mit einem melodischen »Plopp« aus dem Flaschenhals. Dann beugt sie sich über die Flasche und hält die Nase an die Öffnung, um an dem Wein zu schnuppern. Das macht sie jedes Mal, und mir kommt der Gedanke, dass es aussieht, als erwartete sie, einen Geist in der Flasche zu finden.
    Wir essen vor dem Fernseher, weil Kristin eine australische Serie sehen will. Das Hähnchen ist unglaublich. Jim und ich bedienen uns aus dem Topf, ich fülle mir dazu viel Reis auf und gieße dann Sojasoße darüber, dass es auf meinem Teller nach einer Ölleckage aussieht. Als wir fertig gegessen haben und Jim abwäscht, geht Kristin auf die Terrasse, um eine zu rauchen. Sie nimmt ein Schälchen mit Soße, Kartoffeln und Hähnchenherz für den Igel mit.
    Ich beobachte sie durchs Fenster. Das Telefon klingelt. Jim ruft mich. Es ist Tove. Sie klingt fröhlich, aufgekratzt, ein wenig heiser. Ich kann kaum hören, was sie sagt, weil im Hintergrund so ein Lärm herrscht. »Warum kommst du nicht?«, fragt sie und klingt besorgt. »Ich vermisse dich, Kim.«
    Was antwortet man auf so etwas?
    »Ich möchte, dass du kommst!«, sagt sie. »Ich sehne mich nach dir.«
    »Okay«, sage ich natürlich.
    Ich ziehe mir meine schwarze Lederjacke an. Zögere einen Augenblick, denke dann, dass man wohl lieber etwas auf dem Kopf haben sollte, also nehme ich die schwarze Baskenmütze herunter und setze sie mir auf. Dann wickle ich einen langen schwarzen Schal um den Kragen.
    »Da kommt er!«, höre ich Kristins Stimme.
    »Er hat das Futter gesehen.«
    Jim wischt sich die Hände an der Hose trocken und tritt ans Küchenfenster.
    »Ich hau für eine Weile ab«, rufe ich.
    Die Treppe in Pia-Marias Haus vibriert von entfernt laufender Musik, und als ich klingle, und jemand mir die Tür öffnet, schlägt mir der Geruch entgegen, dieser beißend säuerliche Geruch von Feuerzeuggas, und gleichzeitig der Lärm schwerer Musik, die wie ein unsichtbares Herz in der Luft schlägt. Die Wohnung liegt im Dunkeln. Ich kann Leute erkennen, die im Flur sitzen oder halb liegen, drei, vier dunkle Gestalten. Ich weiß nicht, ob die schlafen oder was sie da
    tun, aber ich klettre vorsichtig über sie und gehe ins Wohnzimmer. Criz' weißes Haar kann ich entdecken. Sie nickt mir zu. Ihre Wimpern wogen unter der Mascaralast. Tove kommt auf mich zu. Sie legt mir einen Arm um die Schulter und zieht mich fest an sich.
    »Ich mag dich, Kimmi, weißt du das?«, erklärt sie mit einer trägen Stimme, die ich nicht wiedererkenne. Etwas peinlich berührt lache ich lauthals auf, weil ich mich ihr gegenüber so fremd fühle. Gegenüber allem hier. Wir sind irgendwie nicht auf der gleichen Wellenlänge. Ich komme aus dem Hähnchenland, von Kristins Karottenstiften und einem Abend vor dem Fernseher. Sie war die ganze Zeit hier in der nach Gas stinkenden Dunkelheit, und weiß Gott, was sie gegessen, getrunken und eingeatmet hat. »Oh Scheiße, was hast du denn auf dem Kopf?« Eine Stimme dringt aus dem Dämmerlicht der Wohnung hervor, ich sehe einen Schatten vor der Wand. Er macht ein paar Schritte auf mich zu.
    »Oh Scheiße, was hast du denn auf dem Kopf?«, wiederholt jemand und packt meinen schwarzen Schal und wickelt ihn mir immer und immer wieder um den Hals. Bis mein Mund verdeckt ist.
    »Hör auf«, sagt Tove.
    Aber jemand kümmert sich nicht um sie.
    »Oh Scheiße, was hast du nur auf dem Kopf?«, nervt er. Ich höre Pia-Maria heiser und laut direkt hinter mir lachen. »Das ist doch Kimmi«, sagt sie. »Oh Mann, dich kann man in der Dunkelheit ja fast gar nicht sehen.«
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