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Brunetti 09 - Feine Freunde

Brunetti 09 - Feine Freunde

Titel: Brunetti 09 - Feine Freunde
Autoren: Donna Leon
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    A ls es klingelte, lag Brunetti mit einem offenen Buch auf dem Bauch im Wohnzimmer auf dem Sofa. Da er allein in der Wohnung war, wußte er, daß er gleich aufstehen und an die Tür gehen mußte, vorher aber wollte er den letzten Absatz des achten Kapitels von Xenophons Anabasis fertig lesen, weil er gespannt war, welch neue Katastrophen die Griechen auf ihrem Rückzug erwarteten. Es klingelte wieder, zwei fordernde kurze Töne, und er legte das Buch hin, die aufgeschlagenen Seiten nach unten, nahm seine Brille ab, deponierte sie auf der Sofalehne und erhob sich. Seine Schritte waren langsam, mochte das Läuten auch noch so dringlich geklungen haben. Es war Samstag vormittag, er hatte dienstfrei und die ganze Wohnung für sich, da Paola zum Rialtomarkt gegangen war, um frische Krabben zu kaufen, und ausgerechnet jetzt mußte es klingeln.
    Er nahm an, daß es einer von Chiaras oder Raffis Freunden war oder, schlimmer, irgend so ein religiöser Wahrheitsverkündiger, dem es den größten Spaß machte, die Ruhe der Arbeitsamen zu stören. Brunetti wünschte sich doch vom Leben nichts weiter, als auf dem Rücken liegen und Xenophon lesen zu dürfen, während er darauf wartete, daß seine Frau mit den frischen Krabben nach Hause kam.
    »Ja?« brummte er abweisend in die Sprechanlage, um jugendlichen Müßiggang gleich zu entmutigen und Fanatismus jeden Alters abzuschrecken.
    »Guido Brunetti?« fragte eine Männerstimme.
    »Ja. Was gibt's?«
    »Ich komme vom Katasteramt. Wegen Ihrer Wohnung.« Als Brunetti schwieg, fragte der andere: »Haben Sie unseren Brief nicht bekommen?«
    Bei der Frage erinnerte Brunetti sich dunkel daran, vor etwa einem Monat irgendwas Amtliches erhalten zu haben, ein Schriftstück voller Behördenkauderwelsch, in dem es um die Besitzurkunden zur Wohnung oder die zu den Besitzurkunden gehörigen Baugenehmigungen ging, genau wußte er das nicht mehr. Er hatte das Ding nur kurz überflogen und sich über die gestelzte Sprache aufgeregt, bevor er den Brief wieder in den Umschlag gesteckt und in die große Majolikaschale auf dem Tisch rechts neben der Tür geworfen hatte.
    »Haben Sie unseren Brief bekommen?« wiederholte der Mann.
    »Äh, ja«, antwortete Brunetti.
    »Ich bin hier, um mit Ihnen darüber zu reden.«
    »Worüber?« fragte Brunetti, während er den Hörer der Gegensprechanlage ans linke Ohr klemmte und sich nach dem Stapel Papiere in der Schale reckte.
    »Über Ihre Wohnung«, antwortete der Mann. »Unser Schreiben an Sie.«
    »Ach ja, natürlich.« Brunetti wühlte in den Umschlägen und Briefbögen.
    »Ich würde darüber gern mit Ihnen sprechen, wenn es recht ist.«
    Das Ansinnen traf Brunetti so unvorbereitet, daß er nur »Ja, gut« sagte und schon auf den Knopf drückte, der vier Treppen tiefer die Eingangstür öffnete. »Ganz oben.«
    »Ich weiß«, sagte der Mann.
    Brunetti hängte ein und zog ein paar Umschläge von zuunterst aus dem Stapel. Eine Stromrechnung, eine Postkarte von den Malediven, die er noch gar nicht gesehen hatte und jetzt schnell las. Dann der Umschlag mit dem blau aufgestempelten Namen der absendenden Dienststelle in der linken oberen Ecke. Er zog den Brief heraus, entfaltete ihn, hielt ihn auf Armeslänge von sich ab, bis die Buchstaben scharf wurden, und überflog ihn.
    Dieselben unverständlichen Formulierungen sprangen ihn an: ›Gemäß Statut Nummer 1684B der Kulturgüterkommission‹; ›Unter Verweis auf Absatz 2784 Artikel 127 des Zivilrechts vom 24. Juni 1948, Unterabschnitt 3, Paragraph 5‹; ›Versäumnis, der absendenden Dienststelle die einschlägigen Dokumente zu unterbreiten‹; ›Wert geschätzt gemäß Unterabschnitt 34-V-28 der Verfügung vom 21. März 1947‹. Er überflog die erste Seite nur und blätterte zur zweiten um, fand aber immer noch nur Amts-Chinesisch und Ziffern. Langjährige Erfahrung im Umgang mit der venezianischen Bürokratie hatte ihn gelehrt, daß im letzten Absatz noch etwas versteckt sein konnte, weshalb er sich diesem zuwandte und hier tatsächlich darüber belehrt wurde, daß er weitere Mitteilungen von Seiten des Katasteramts zu erwarten habe. Er blätterte an den Anfang zurück, doch aller Sinn, der sich hinter den Worten verbergen mochte, entging ihm.
    Da er sich so nah an der Wohnungstür befand, hörte er die Schritte auf dem letzten Treppenlauf und konnte schon öffnen, bevor es klingelte. Der Mann kam soeben die letzten Stufen herauf und hatte bereits die Hand zum Klopfen gehoben, so daß Brunetti als
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