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Echo Park

Echo Park

Titel: Echo Park
Autoren: Michael Connelly
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HIGH TOWER ∙ 1993
    Es war das Auto, das sie gesucht hatten. Das Nummernschild fehlte, aber Harry Bosch war ganz sicher. Ein 1987er Honda Accord, der braune Lack von der Sonne ausgeblichen. 1992 war er mit einem grünen Clinton-Sticker aufgemöbelt worden, aber mittlerweile war auch der verblasst. Der Sticker war mit billiger Farbe gedruckt, bei der kein Wert auf Haltbarkeit gelegt worden war. Damals war Clintons Wahl noch alles andere als eine ausgemachte Sache gewesen. Das Auto stand in einer Einzelgarage, die so eng war, dass Bosch sich fragte, wie der Fahrer eigentlich ausgestiegen war. Er würde die Spurensicherung darauf hinweisen müssen, mit besonderer Sorgfalt die Außenseite des Autos und die Innenwände der Garage nach Fingerabdrücken abzusuchen. Die Techniker der Spurensicherung wären zwar alles andere als begeistert, so etwas gesagt zu bekommen, aber er wusste, er könnte nicht mehr ruhig schlafen, wenn er es nicht täte.
    Die Garage hatte ein Schwingtor mit einem Aluminiumgriff. Nicht gut für Fingerabdrücke, aber auch darauf würde Bosch die Spurensicherung hinweisen.
    »Wer hat den Wagen entdeckt?«, fragte er die Streifenpolizisten.
    Sie hatten gerade das gelbe Absperrband quer über die Einfahrt der Sackgasse gespannt, die von zwei Reihen Einzelgaragen flankiert wurde und an deren Ende der Eingang des High-Tower­Wohnkomplexes lag.
    »Der Hausbesitzer«, sagte der ranghöhere Streifenpolizist. »Die Garage gehört zu einer Wohnung, die zurzeit nicht vermietet ist. Deshalb sollte sie eigentlich leer stehen. Aber als er sie vor ein paar Tagen aufmacht, um irgendwelche Möbel oder Zeugs darin abzustellen, sieht er das Auto. Zuerst denkt er, es gehört jemand, der bei einem anderen Mieter zu Besuch ist, deshalb unternimmt er ein paar Tage lang nichts, aber dann steht die Karre immer noch da, und er fängt an, bei den Mietern herumzufragen. Niemand kennt das Auto. Niemand weiß, wem es gehört. Darauf ruft er bei uns an, weil er wegen der fehlenden Nummernschilder denkt, es könnte gestohlen sein. Ich und mein Partner, wir haben die Gesto-Suchmeldung an der Sonnenblende stecken. Und als wir hier eintreffen, ist uns der Fall ziemlich schnell klar.«
    Bosch nickte und ging weiter auf die Garage zu. Er atmete in tiefen Zügen durch die Nase. Marie Gesto war inzwischen zehn Tage vermisst. Wenn sie im Kofferraum läge, röche er es. Sein Partner Jerry Edgar, folgte ihm.
    »Und?«, fragte er.
    »Nichts, glaube ich.«
    »Gut.«
    »Gut?«
    »Ich mag keine Kofferraumfalle.«
    »Wenigstens hätten wir dann ein Opfer, das uns Anhaltspunkte liefert.«
    Während ihres kurzen Geplänkels suchte Bosch das Fahrzeug bereits mit aufmerksamen Blicken nach etwas ab, das sie weiterbringen könnte. Als er nichts entdeckte, zog er ein paar Gummihandschuhe aus der Tasche seines Jacketts, blies sie wie Ballons auf, um den Gummi zu dehnen, und streifte sie über seine Hände. Dann hielt er die Arme hoch wie ein Chirurg beim Betreten des Operationssaals, drehte sich zur Seite und schob sich vorsichtig in die Garage, um an die Fahrertür zu gelangen, ohne dabei etwas zu berühren oder mögliche Spuren zu verwischen.
    Je weiter er sich vorarbeitete, umso dunkler wurde es in der Garage. Er fächelte Spinnfäden aus seinem Gesicht, kehrte wieder nach draußen zurück und fragte den Streifenpolizisten, ob er die Maglite an seinem Gürtel haben könnte. Sobald er wieder in der Garage war, knipste er die Taschenlampe an und richtete ihren Strahl durch die Fenster des Honda. Als Erstes sah er auf den Rücksitz. Dort lagen die Reitstiefel und der Helm. Neben den Stiefeln entdeckte er eine kleine Plastikeinkaufstüte mit dem Logo des Mayfair Supermarket. Den Inhalt der Tüte konnte er nicht erkennen, aber er wusste, sie würde den Ermittlungen eine neue Richtung geben.
    Er bewegte sich weiter nach vorn. Auf dem Beifahrersitz stand ein Paar Joggingschuhe, und darauf lag ein kleiner Stapel ordentlich zusammengefalteter Kleidungsstücke. Er erkannte die Bluejeans und das langärmelige T-Shirt, die Sachen, die Marie Gesto getragen hatte, als Zeugen sie auf ihrem Weg zum Reiten in Beachwood Canyon das letzte Mal gesehen hatten. Auf dem Oberteil lagen, sorgfältig zusammengelegt, Socken, Slip und BH. Bosch spürte das dumpfe Pochen tiefer Beklemmung in seiner Brust. Nicht, weil er in den Kleidungsstücken die Bestätigung dafür sah, dass Marie Gesto tot war. Tief in seinem Innern wusste er das bereits. Jeder wusste es, sogar die Eltern, die
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