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Spiegelschatten (German Edition)

Spiegelschatten (German Edition)

Titel: Spiegelschatten (German Edition)
Autoren: Monika Feth
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    Schmuddelbuch, Dienstag, 1. März, acht Uhr, noch im Bett
    Erreiche Björn nicht. Wahrscheinlich ist er wieder in Berlin, um in seinem hochkomplizierten Liebesleben aufzuräumen. Ich wünschte, ich könnte ihm helfen. Wir haben uns immer gegenseitig unterstützt. Viel zu sehr. Haben die Probleme des andern zu unsern eigenen gemacht. Vielleicht ist das bei Zwillingen normal, ich weiß es nicht. Habe mich nie darum gekümmert.
    Greg schickt mich zu einem Vortrag an der Uni. Ein Professor Norman Forsyte spricht über besondere Aspekte der Zwillingsforschung. Passt, oder? Einerseits bin ich gespannt darauf, andrerseits empfinde ich ein merkwürdiges Unbehagen. Als wollte mich dieser Professor dazu bringen, einen Blick in mein Innerstes zu werfen, auf etwas Unberührbares, das ich aus gutem Grund nie angetastet habe.
    In der Nacht waren die Temperaturen wieder unter den Gefrierpunkt gesunken. Die letzten Februartage waren sonnig und beinah schon frühlingshaft gewesen. In den Kölner Straßencafés hatte Hochbetrieb geherrscht. Die Leute hatten sich die Sonnenbrillen auf die Nase gesetzt und waren Hand in Hand durch die Stadt geschlendert.
    Licht und Schatten, Vogelgezwitscher und ein lauer Wind. Das alles war wie ein Versprechen gewesen.
    Nun lag erneut Reif auf den Dächern, und es war so kalt, dass Romy am liebsten wieder unter die Bettdecke gekrochen wäre. Sie legte ihre Kladde beiseite, lief ins Bad, streifte T-Shirt und Slip ab, stellte sich unter die Dusche und drehte das Wasser so heiß, wie sie es eben noch aushalten konnte.
    Sie liebte den Winter, aber allmählich hatte sie das Bedürfnis nach Sonne und Wärme. Sie sehnte sich danach, endlich mal wieder mit ihrem Laptop draußen zu sitzen, statt immerzu in geschlossenen Räumen zu arbeiten.
    Während ihr unter dem heißen Wasser allmählich wärmer wurde, überlegte sie, was sie anziehen sollte. Sie würde ein Gespräch mit dem Professor führen und hatte mit Norman Forsytes Sekretärin einen Termin verabredet. Zwölf Uhr. Direkt nach seinem Vortrag.
    Ihr war nach Jeans, dickem Pulli und ihren gefütterten Stiefeln. Nach ihrer wattierten Jacke und dem schwarzen Filzhut, der eigentlich eher eine Mütze war. Also würde sie genau das anziehen. Sie ließ sich Wasser in den Mund laufen und spuckte es in hohem Bogen wieder aus.
    In ihrem Bauch grummelte es. Vor Hunger. Und vor Aufregung. Ein Interview hatte sie noch nie gemacht und sie hatte mächtig Bammel davor. Doch Greg ließ sich von ihrem Lampenfieber nicht beeindrucken. Er hatte ihr die Chance zu diesem Volontariat gegeben und verlangte, dass sie sie nutzte.
    » Schwimmen lernst du nur, wenn du ins Wasser springst. Und Schreiben lernst du nur durch Schreiben.«
    Seine Worte. O-Ton.
    Eine halbe Stunde später saß Romy mit noch feuchten Haaren an ihrem kleinen Esstisch in der Küche, knabberte zwei Scheiben Toast mit Honig und ging noch einmal durch, was sie sich überlegt hatte. Aus ihren Recherchen im Internet ergaben sich immer mehr Fragen.
    Wie sind Sie dazu gekommen, sich mit der Zwillingsforschung zu beschäftigen?
    Sind Sie selbst ein Zwilling?
    Stimmt es, dass Zwillinge bereits im Mutterleib ihre sozialen Rollen erlernen?
    Gibt es wirklich Fälle von Kannibalismus bei ungeborenen Zwillingen?
    » Stell dir vor, was deine Leser interessiert«, hatte Greg ihr beigebracht. » Frag dich, was dich selbst beschäftigt. Geh bloß nicht akademisch an die Dinge heran.«
    Gregory Chaucer, Verleger und Chefredakteur des links-alternativen, zweiwöchentlich erscheinenden KölnJournals, war ein guter Lehrer. Sie hätte sich keinen besseren wünschen können.
    Als sie ihre Dachgeschosswohnung verließ, ihre Fragen im Gepäck, ihren Laptop in der Umhängetasche, die Mütze tief ins Gesicht gezogen, um sich gegen die Kälte und den schneidenden Wind draußen zu wappnen, wünschte sie sich für einen kurzen Moment Björn an ihre Seite. Gemeinsam waren sie unschlagbar. Immer schon gewesen.
    Trotzig drückte sie den Rücken durch. Norman Forsyte mochte ein weltweit anerkannter Professor und Zwillingsforscher sein, aber er würde ihr bestimmt nicht den Kopf abreißen, wenn sie sich hier und da ungeschickt anstellte.
    Da die meisten Hausbewohner bereits unterwegs waren, gelangte Romy ohne Probleme an ihr Fahrrad. Sie hatte es, entgegen den Hausvorschriften, unten im Hausflur abgestellt, wie alle andern auch. Streng genommen gehörte es ihrem Freund Calypso, doch er hatte es ihr überlassen, nachdem ihr eigenes vor
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