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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers
Autoren: Julia Kröhn
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Prolog
Rom, 257 n.Chr.
    Sie stieg in die Dunkelheit, Stufe für Stufe, sehr vorsichtig, um auf dem glitschigen Boden nicht auszurutschen. Die Feuchtigkeit hockte hier in jedem Winkel, unbehelligt von der Sonne, deren Strahlen schon lange vor dem geheimen Eingang, den die Frau gebückt durchschritten hatte, versiegt waren. Das magere Leuchten, das übrig blieb, mochte die Ahnung von Licht verheißen, aber keine Wärme. Die Frau fröstelte, presste das Bündel, das sie bei sich trug, enger an ihren Leib, als wollte sie es beschützen und es zugleich als Schutzschild gebrauchen.
    Ihr Schatz befand sich darin. Das Teuerste, das Kostbarste, was sie je besessen hatte.
    Kurz hielt sie inne, wusste nicht, welche Richtung sie nun einschlagen sollte. Jener Gang – wiewohl bedrückend niedrig, mit rauen Mauern und das Echo ihrer Schritte von allen Seiten wiedergebend – war bislang gerade gewesen, hatte einfach nur nach unten geführt, tiefer und tiefer; nun gabelte er sich in zwei Richtungen, beide so dunkel, dass ihre Augen an deren Enden selbst dann nichts erspähen konnten, als sie sich an die Schwärze gewöhnt hatten.
    Doch plötzlich hörte sie etwas, ein fernes Raunen, ein Gemurmel; es schwoll an, legte sich wieder. Gleichwohl sie einzelne Worte nicht verstehen konnte, seufzte sie erleichtert; ihr angespannter Griff lockerte sich ein wenig. Nicht länger wartete ein trübes, feuchtes Nichts vor ihr, sondern die Ahnung von ... Heimat.
    Unwillkürlich begannen ihre Lippen Worte zu murmeln. Sie musste nicht darüber nachdenken, ganz selbstverständlich perlten sie hervor, und mit jeder Silbe, die wispernd erklang, ging sie wie betäubt weiter. Sie roch den Rauch der Fackeln – von tränenden Augen und einem kurzen, beißenden Schmerz in der Kehle angekündigt –, noch ehe deren rötliches Glimmen sie begrüßte. Dann schließlich, wieder ein paar tastende, vorsichtige Schritte später, ward sie endlich in jenes sanfte, warme Licht getaucht, das aus den glitschigen Wänden eine heimelige Höhle machte.
    Das Gemurmel erstarb. Viele Augen richteten sich auf sie, und obwohl sie wusste, dass sie erwartet wurde, fiel es ihr schwer, dieses Ausmaß an Aufmerksamkeit zu ertragen. Beschämt senkte sie den Kopf, ehe sie gewahrte, dass nicht sie es war, die von allen Seiten angestarrt wurde, sondern das Bündel, das sie bei sich trug.
    Ihr Schatz.
    »Krëusa«, sprach eine Stimme. Sie gehörte zu einem vertrauten Gesicht.
    »Quintillus«, erwiderte sie.
    Der Mann, der wie die anderen im Kreise gesessen hatte, erhob sich schwerfällig. Wenngleich er es zu unterdrücken suchte, kam ein Ächzen aus seinem Mund, von dem Alter kündend, das seine Tatkraft lähmte und aus dem einstmals kräftigen Leib einen siechen, schmerzenden gemacht hatte. Seine Haut war fleckig geworden, der Bart war noch mehr ergraut, das Haupthaar fast vollends einer Glatze gewichen. Von jener schälte sich die Haut in kleinen, weißen Fetzchen.
    Krëusa kannte Quintillus nur als alten Mann, hatte ihn niemals jung gesehen. Und doch erschrak sie über seinen Anblick. Es schien, als wäre er in den letzten paar Wochen noch weiter geschrumpft, als würde er nicht länger in die übergroße Hülle seiner Haut passen. Noch atmete aus ihm nicht der Tod, aber sein Geist war fühlbar im Schwinden begriffen. Sie war froh, nicht länger gezögert zu haben, sondern endlich seiner Einladung hierher gefolgt zu sein.
    »Dies also ist Krëusa«, sprach er in die Runde. »Ich habe euch von ihr erzählt. Nehmt sie auf als eure Schwester.«
    Wieder brandete Raunen auf, jedoch nicht so gleichmäßig wie vorhin. Jetzt schien jeder etwas anderes zu tuscheln, zu fragen, zu berichten.
    Krëusa wusste, dass das Tuscheln nicht ihr galt. Mochte man ihr auch freundlich zunicken, ihr vielleicht sogar ein Lächeln schenken – sie war es nicht, die Bewunderung auf sich zog; ihre Taten wurden nicht besprochen, sondern die einer ... anderen.
    Zögernd trat sie in den Kreis, betrachtete die Versammelten genauer: Manche trugen edle Gewänder, aus golddurchwirkten Stoffen, mit Fransen verziert. Andere hatten Umhänge aus der groben Wolle, wie sie bei Handwerkern und Sklaven üblich war. Die einen saßen aufrecht wie jene Menschen, die niemals von der Last der Arbeit gebeugt worden sind; in die Züge der anderen hatten des Lebens Mühen tiefe Furchen getrieben. Allen gleich war jedoch die Erwartung, die sie auf Krëusa richteten.
    Krëusa beugte sich nieder, senkte das Bündel. Sie fühlte, wie
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