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Kuessen al dente - Roman

Kuessen al dente - Roman

Titel: Kuessen al dente - Roman
Autoren: Jenny Nelson
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    G eorgia bog in eine von hübschen Ziegel- und Sandsteinhäusern gesäumte Allee ein und blieb vor einem stahlgrauen Flachbau stehen, der jeglichen Charme seiner Nachbarschaft vermissen ließ. Aneinandergereihte Rauchglasfenster zogen sich wie Schnitte quer über die Fassade, und knapp unter der Dachkante hatte der Architekt runde Bullaugen eingebaut. Das Restaurant. Eine architektonische Karikatur oder Großtat, je nachdem, von welcher Ecke der Designerfraktion aus man dieses Bauwerk betrachtet, jedenfalls auffällig genug, dass die Leute darüber redeten, und darum ging es letztlich ja auch. »MARCO« stand in diskreten Lettern auf einer grauen Betonplatte über der Tür, doch soweit Georgia wusste, hatte keiner der Gäste dieses sogenannte Türschild je bemerkt.
    Wer nach dem Namen fragen musste, verdiente es nicht, in diesem Etablissement zu speisen.
    Nachdem sie die schwere Eingangstür aufgestemmt hatte, die eines Tresorraums würdig gewesen wäre, stöckelte sie auf ihren hohen Pumps durch das in einem kühlen Eisblau gehaltene Lokal, vorbei an sandgestrahlten Edelstahltischen mit passenden Stühlen und den schneeweißen Kunstledersitzbänken entlang der Wände. Forsch klickten ihre Absätze im Rhythmus ihrer Schritte über den Terrazzoboden. Der Florist arrangierte gerade einen überdimensionalen Blumenstrauß auf der lackierten Bar, zupfte verblühte Stängel aus dem Gebinde und ersetzte sie durch frische Lilien, Iris und Pfingstrosen
– ausnahmslos in Weiß, der Maxime des Marco entsprechend.
    Täglich um drei Uhr nachmittags setzten sich alle Mitarbeiter gemeinsam zum Essen an einen Tisch und besprachen dabei alles Wichtige für den Abend. Es war bekannt, dass Bernard, der scharfzüngige Geschäftsführer, auf Pünktlichkeit bestand und keinerlei Verspätungen duldete. Sechs aneinandergestellte Vierertische bildeten die lange Tafel. Eine Sitzordnung gab es nicht – ganz nach der Devise: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Gemeinsam mit den Kellnern, den Köchen, Küchenhilfen und Spülern, die aus allen Ecken des Lokals an den Mittagstisch eilten, suchte sich Georgia einen Platz und drehte dabei ganz automatisch ihren Verlobungsring herum, so dass der in den Platinreif eingebettete Brillant auf der Handinnenfläche funkelte – so wie sie es auch in der U-Bahn machte. Unlackierte Fingernägel und rote, aufgesprungene Hände – unschöne, aber unvermeidbare Attribute einer jeden Küchenchefin – waren kaum ein idealer Hintergrund für einen so kostbaren Ring. Aber Glenn wollte, dass sie ihn am Finger trug – und nicht an einer Kette um den Hals, wie sie es vorgezogen hätte –, und zwar an ihrem linken Ringfinger, wie es sich für eine zukünftige Braut schickte.
    Glenn hatte noch tief und fest geschlafen, als sie schon früh an diesem Morgen ihre gemeinsame Wohnung verlassen hatte, um sich mit Ricky, ihrem Souschef, auf dem Fischmarkt zum Einkaufen zu treffen. Sie gab Glenn einen Abschiedskuss auf die Stirn und noch einen auf die Lippen, hoffte, dass er davon aufwachte und ihren Kuss erwiderte, was er tatsächlich auch tat, für den Bruchteil einer Sekunde wenigstens, bevor er sich umdrehte und etwas Unverständliches in sein Kopfkissen murmelte. Ihre genau entgegengesetzten Arbeitszeiten hatten ihnen nie viel Zeit zum Kuscheln gelassen, doch
in letzter Zeit musste sie sich fast ausschließlich mit schläfrigen Küssen und einem genuschelten »Bis später« begnügen.
    »Hi, Chef, lange nicht gesehen.« Ricky ließ sich auf den freien Stuhl neben Georgia fallen und strich sich das weizengelbe Haar aus der Stirn. In den Schlabber-Shorts, die ihm bis zu den Knien reichten, und den Socken, die er so weit hochgezogen hatte, dass sie auch als Strumpfhosen durchgegangen wären, sah er mehr aus wie der Absolvent einer Clownschule als ein gelernter Koch. Er rümpfte die Nase und schnüffelte geräuschvoll. »Hast du nach unserem Trip auf den Fischmarkt nicht geduscht? Oder bin ich es, der stinkt wie ein alter Salzhering?«
    »Das bist definitiv du, mein lieber Rick«, erklärte Georgia. »Ich habe mir mit diesem Purell-Zeug die Finger rot geschrubbt. «
    Sie und Ricky hatten sich vor ein paar Jahren kennengelernt, als sie beide unter einem wahren Tyrannen von Küchenchef gearbeitet hatten, der es für besonders spaßig hielt, Fleischmesser auf ein Korkbrett zu werfen, an das er Polaroidfotos seiner Angestellten geheftet hatte. Von da an hatten sie sich Seite an Seite durch etliche winzige Küchen in Manhattan
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