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Wir nennen es Politik

Wir nennen es Politik

Titel: Wir nennen es Politik
Autoren: Marina Weisband
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nutzen, die uns zur Verfügung stehen, um die Lage zu verbessern.
    Und wir haben Mittel! Wir können beliebige Mengen an Information ohne Zeitverlust oder Kosten unendlich oft kopierbar über unbegrenzte Distanzen versenden. Warumwerden Vorlesungen an Universitäten gehalten, die nur von jenen gehört werden, die in den Saal passen? Weshalb werden kostenlose, offene Vorlesungen nicht auch gestreamt, damit man sie bequem von zuhause ansehen kann? Warum passiert das nicht mit öffentlichen Ratssitzungen? Warum arbeiten Lehrer immer noch weitestgehend auf sich allein gestellt immer bessere Unterrichtsmethoden aus, tauschen sich aber selten systematisch über ihre Arbeit aus? Warum bekommen wir nicht mehr Einblicke hinter die Kulissen von Fernsehproduktion, Stadtwerkebetrieben, von politischem Leben? Es geht in allen diesen Bereichen nicht darum, sensible Daten zu verbreiten oder jemanden zu überwachen. Es geht eher um nützliches Wissen, das jedem zugänglich sein könnte.
    Natürlich wird sich nicht jeder für ein solches Angebot interessieren – aber einige, und die Aufgabe ist es, diesen einigen einen Einblick zu gewähren.
    Die Zeit der Informationsökonomie ist vorbei. Wir haben die Kapazitäten dazu. Natürlich kann kein Mensch alles wissen. Aber heute könnten wir immerhin Zugang haben zu allen Informationen, wenn sie nicht gerade geheim sind, da sie Menschen schaden könnten.
    Es erscheint auf Anhieb nicht vereinbar, dass ich die Bevölkerung einerseits möglichst breit bilden möchte, andererseits die vollständige Selbstbestimmung jedes Erwachsenen bezüglich des Lernens oder Nichtlernens fordere. Es ist aber kein Widerspruch. Selbst wenn wir jedem Informationen aufzwingen, echtes Lernen erfolgt nur durch intrinsische Motivation. Wie aber erreicht man letztlichdas Interesse der Bevölkerung an Wissen über politische Prozesse und Inhalte?
    Es ist illusorisch, davon auszugehen, dass das nur über die Vermarktung der Angebote funktioniert. Die Motivation, etwas zu lernen, muss von innen kommen. Und sie entsteht meistens aus Unzufriedenheit. Wir können Schülern das System des Bundestags erklären, so viel wir wollen. Wir können die Demokratie noch so sehr anpreisen. Sie werden den Unterricht gelangweilt absitzen und es vergessen. Aber wenn ein strenger Schuldirektor den Gebrauch von Mobiltelefonen auf dem Schulgelände verbietet, fangen die Schüler an, sich selbst zu organisieren, zu protestieren und nach ihren rechtlichen Möglichkeiten zu forschen. Demokratie wird nicht in der Theorie gelernt, sondern aus der direkten Erfahrung. Die beste Möglichkeit, Menschen zum Lernen zu animieren, besteht darin, ihnen zu zeigen, dass sie selbst etwas verändern können.
    Ich habe also kaum eine andere Wahl, als Menschen selbst zu überlassen, was sie wissen wollen. Menschen sind das, was sie aus sich machen. Der Staat, Organisationen und politische Aktivisten sollen sich dafür einsetzen, die Möglichkeit der Bildung zu schaffen, das Wissen zur Verfügung zu stellen und Beteiligung zu ermöglichen. Die Fragen ergeben sich ganz von allein.
    Das ist vermutlich mein Hauptanliegen. Ja, man kann die Leistungsfähigkeit von Demokratie mit großer Beteiligung anzweifeln, wenn man fünf Minuten mit dem durchschnittlichen Wähler spricht. 5 Ja, wir können sagen, dassMenschen sich auch verdammt oft selbst im Weg stehen, wenn sie beispielsweise direkten Kontakt zu Politikern über das Internet dazu nutzen, selbige zu beschimpfen und destruktiv zu sein. Ja, auch ich habe in diesem Buch diverse Gründe geliefert, warum Menschen manchmal eigentlich irgendwie scheiße sind. Gegner demokratischer Konzepte warten immer darauf, dass die Bevölkerung aufgeklärter wird, ehe sie auf Entscheidungen losgelassen werden soll. Ich postuliere, dass der Prozess genau andersherum laufen muss. Menschen müssen erst mit wichtigen Entscheidungen konfrontiert werden, um dann freiwillig selbst die Verantwortung zu übernehmen und auch zu tragen. Gesellschaft ist veränderbar. Wir verlieren das nur allzu häufig aus dem Blick über unseren Zynismus und die Schnapsphrase: »Die da oben machen doch eh, was sie wollen.«
    Wenn Sie mit allem in der Politik zufrieden sind, können Sie die Änderungsvorschläge getrost ignorieren. Aber ich glaube nicht, dass die meisten zurzeit zufrieden sind. Was hindert uns also daran, mal etwas Neues auszuprobieren?

Schlusswort – Weisheit gehört ins Alter
    Es war anstrengend dieses Buch zu schreiben. Nicht, weil
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